- Harun sprach zu seinen Kindern Assur, Assad, Scheherban:
- „Söhne, werdet ihr vollenden, was ich kühnen Muths begann?
- Seit ich Bagdads Thron bestiegen, bin von Feinden ich umgeben!
- Wie befestigt ihr die Herrschaft? Wie vertheidigt ihr mein Leben?“
- Assur ruft, der feurig schlanke: „Schleunig werb’ ich Dir ein Heer!
- Zimmre Masten, webe Segel! Ich bevölkre Dir das Meer!
- Rosse schul’ ich. Säbel schmied’ ich. Ich erbaue dir Castelle.
- Dir gehören Stadt und Wüste! Dir gehorchen Strand und Welle!“
- Assad mit der schlauen Miene sinnt und äußert sich bedächtig:
- „Sicher schaff’ ich deinen Schlummer, Sorgen machen übernächtig.
- Traue Deinem Assad! Wähle mich zum Polizeiminister!
- Jeden Athemzug belausch’ ich, jedes heimliche Geflüster.
- Wirthe, Kuppler und Barbiere, jedem setz’ ich einen Sold,
- Daß ein jeder mir berichte, wer dich liebt und wer Dir grollt.“
- Harun lächelt. Zu dem Jüngsten, seinem Liebling, sagt er: „Ruhst du?
- Wie beschämst du deine Brüder? Zarter Scheherban, was tust du?“
- „Vater“, redet jetzt der Jüngste keusch errötend, „es ist gut,
- Daß ein Tropfen rinne nieder warm ins Volk aus deinem Blut!
- Über ungezählte Loose bist allmächtig du auf Erden,
- Das ist Raub an Deinen Brüdern – und Du wirst gerichtet werden!
- Dein erhaben Loos zu sühnen, das sich thürmt den Blitzen zu,
- Laß mich in des Lebens dunkle Tiefe niedertauchen Du!
- Such mich nicht! Ich ging verloren! Sende weder Kleid noch Spende!
- Wie der Aermste will ich leben von der Arbeit meiner Hände!
- Mit dem Hammer, mit der Kelle laß mich, Herr, ein Maurer sein!
- Selber maur’ ich mich in Deines Glückes Grund und Boden ein!
- Jedem Hause wird ein Zauber, daß es unzerstörlich dauert,
- Etwas Liebes, etwas Theures in den Grundstein eingemauert!
- Hörest du die Straße rauschen unter Deinem Marmorschloß?
- Morgen bin ich dieser Menge namenloser Tischgenoß –
- Wenn Dich die Beherrschten lästern, segnet Einer, Herr, Dich stündlich!
- Wenn Dich die Enterbten hassen, Einer, Vater, liebt Dich kindlich!“
Die Söhne Haruns
… eine Ballade von Conrad Ferdinand MeyerDie Söhne Haruns von Conrad Ferdinand Meyer wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/meyer/die-soehne-haruns/
Quelle: https://balladen.net/meyer/die-soehne-haruns/