- „Herr König, ich bin Steffens Kind,
- Der den Erobrer einst geführt!
- Es ist ein Lehn, Dass mein Gesind
- Mein Schiff allein den König führt!
- Voraus den schnellsten Seglern fliegt
- Mein Boot, La Blanche Nef genannt,
- Es weiss, wo sichre Tiefe liegt,
- Es furcht das Meer, es kennt den Strand!“
- „Nicht mich, doch meinen besten Hort,
- Vier Königskinder, führest du
- – Sie knospen, weil mein Leben dorrt –
- Die junge Normandie dazu!
- Gelobe mir dein himmlisch Teil,
- Gelobe mir dein männlich Wort:
- Du bringst an Leib und Seele heil
- Die Kinder mir nach England dort!“
- „Ich schwöre dir mein himmlisch Teil,
- Ich schwöre dir mein männlich Wort:
- An Leib und Seele bring ich heil
- Die Kinder dir nach England dort!
- Des Schiffers geller Pfiff erscholl,
- In See das Boot des Königs stach –
- Ein Korb von frischen Blumen voll
- Glitt Blanche Nef, la Belle, nach.
- So leichtbeschwingt wie nie zuvor
- Durchfurchte Blanche Nef die See
- Mit ihrem kräftgen Knabenflor
- Und Mägdlein schlank wie Hirsch und Reh.
- Die Königskinder hell und zart
- Erhöht inmitten sassen sie,
- Ringsum gepaart in Zucht und Art
- Das Edelblut der Normandie.
- Vier Stimmen sangen frisch und schön
- Und hundertstimmig scholl der Chor,
- Es zog das junge Lustgetön
- Die Nixen aus der Flut empor.
- – „Ich warne junge Herrlichkeit
- Und dich, normännisch Edelblut,
- Das Singen schafft der Nixe Leid,
- Dem freudelosen Kind der Flut!“
- – „Und schaffen dem Gezücht wir Leid
- Und quälen wir das Halbgeschlecht
- Und reizen wir der Nixe Neid,
- Das, Steffen, ist uns eben recht!“
- Gemach verlosch das Abendrot,
- Des Tages Gluten schliefen ein,
- Ausbreitet über Meer und Boot
- Der Mond den bleichen Geisterschein.
- Die See ist wunderlich erregt.
- Was wandert um des Kieles Lauf?
- Von Armen wird die Flut bewegt,
- Beglänzte Nacken tauchen auf.
- Der Steffen ernst am Steuer stand:
- „Das Meer ist klar … doch droht Gefahr …“
- Er deutet mit gestreckter Hand:
- „Da naht sie schon, die Nixenschar!“
- Umklammert hält den schrägen Mast
- Ein blanker Leib als Schiffsfigur
- Dass Blanche Nef, von Graun erfasst
- In wilder Flucht von dannen fuhr.
- – „Ich warne junge Herrlichkeit,
- Vergesst die Nachtgebete nicht!“
- – „Ei, Steffen, Kind der alten Zeit,
- Süss herzt es sich im Mondenlicht …“
- Es klimmt und überklimmt das Bord,
- Es lässt sich nieder aus den Taun,
- Es kichert wie ein freches Wort,
- Es schaudert wie ein lüstern Graun …
- Es reizt, es quält, es schlüpft, es schmiegt
- Sich zwischen Edelknecht und Maid,
- Bis sich das Paar in Armen liegt
- Zu früher Lust, zu Tod und Leid …
- Dem Steffen steigt das Haar. Er starrt
- Auf ein gespenstig Bacchanal:
- Die Königskinder, hell und zart,
- Verblühen all im Mondenstrahl.
- „Verloren geht mein himmlisch Teil,
- Gebrochen ist mein männlich Wort:
- Nicht bring an Leib und Seele heil
- Die Kinder ich nach England dort!
- Stirb, Blanche Nef! Bevor es tagt!
- Im Wasser weiss ich hier ein Riff …“
- Er dreht das Steuer stracks und jagt
- Der Klippe zu das Sündenschiff.
- Der König lauscht zurück: „Das scholl
- Wie Sterbeschrei!“ Klar ist der Sund.
- Ein Korb von welken Blumen voll,
- Sinkt Blanche Nef zum Meeresgrund.
La Blanche Nef
… eine Ballade von Conrad Ferdinand MeyerLa Blanche Nef von Conrad Ferdinand Meyer wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/meyer/la-blanche-nef/
Quelle: https://balladen.net/meyer/la-blanche-nef/