- Es war ein König Milesint,
- Von dem will ich euch sagen:
- Der meuchelte sein Bruderskind,
- Wollte selbst die Krone tragen.
- Die Krönung ward mit Prangen
- Auf Liffey-Schloß begangen.
- O Irland! Irland! warest du so blind?
- Der König sitzt um Mitternacht
- Im leeren Marmorsaale,
- Sieht irr in all die neue Pracht,
- Wie trunken von dem Mahle;
- Er spricht zu seinem Sohne:
- »Noch einmal bring die Krone!
- Doch schau, wer hat die Pforten aufgemacht?«
- Da kommt ein seltsam Totenspiel,
- Ein Zug mit leisen Tritten,
- Vermummte Gäste groß und viel,
- Eine Krone schwankt inmitten;
- Es drängt sich durch die Pforte
- Mit Flüstern ohne Worte;
- Dem Könige, dem wird so geisterschwül.
- Und aus der schwarzen Menge blickt
- Ein Kind mit frischer Wunde;
- Es lächelt sterbensweh und nickt,
- Es macht im Saal die Runde,
- Es trippelt zu dem Throne,
- Es reichet eine Krone
- Dem Könige, des Herze tief erschrickt.
- Darauf der Zug von dannen strich,
- Von Morgenluft berauschet,
- Die Kerzen flackern wunderlich,
- Der Mond am Fenster lauschet;
- Der Sohn mit Angst und Schweigen
- Zum Vater tät sich neigen –
- Er neiget über eine Leiche sich.
Die traurige Krönung
… eine Ballade von Eduard MörikeDie traurige Krönung von Eduard Mörike wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/moerike/die-traurige-kroenung/
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