- Ein Werwolf eines Nachts entwich
- von Weib und Kind, und sich begab
- an eines Dorfschullehrers Grab
- und bat ihn: Bitte, beuge mich!
- Der Dorfschulmeister stieg hinauf
- auf seines Blechschilds Messingknauf
- und sprach zum Wolf, der seine Pfoten
- geduldig kreuzte vor dem Toten:
- »Der Werwolf«, – sprach der gute Mann,
- »des Weswolfs« – Genitiv sodann,
- »dem Wemwolf« – Dativ, wie man’s nennt,
- »den Wenwolf« – damit hat’s ein End‘.
- Dem Werwolf schmeichelten die Fälle,
- er rollte seine Augenbälle.
- Indessen, bat er, füge doch
- zur Einzahl auch die Mehrzahl noch!
- Der Dorfschulmeister aber mußte
- gestehn, daß er von ihr nichts wußte.
- Zwar Wölfe gäb’s in großer Schar,
- doch „Wer“ gäb’s nur im Singular.
- Der Wolf erhob sich tränenblind –
- er hatte ja doch Weib und Kind!
- Doch da er kein Gelehrter eben,
- so schied er dankend und ergeben.
Der Werwolf
… eine Ballade von Christian MorgensternDer Werwolf von Christian Morgenstern wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/morgenstern/der-werwolf/
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