Der Glockenguß von Breslau

eine Ballade von Wilhelm Müller
  1. War einst ein Glockengießer
  2. Zu Breslau in der Stadt,
  3. Ein ehrenwerter Meister
  4. Gewandt in Rat und Tat.
  5. Er hatte schon gegossen
  6. Viel Glocken, gelb und weiß,
  7. Für Kirchen und Kapellen,
  8. Zu Gottes Lob und Preis.
  9. Und seine Glocken klangen
  10. So voll, so hell, so rein;
  11. Er goss auch Lieb und Glauben
  12. Mit in die Form hinein.
  13. Doch aller Glocken Krone,
  14. Die er gegossen hat,
  15. Das ist die Sünderglocke
  16. Zu Breslau in der Stadt.
  17. Im Magdalenenturme
  18. Da hängt das Meisterstuck,
  19. Rief schon manch starres Herze
  20. Zu seinem Gott zurück.
  21. Wie hat der gute Meister
  22. So treu das Werk bedacht!
  23. Wie hat er seine Hände
  24. Gerührt bei Tag und Nacht!
  25. Und als die Stunde kommen,
  26. Dass alles fertig war,
  27. Die Form ist eingemauert,
  28. Die Speise gut und gar;
  29. Da ruft er seinen Buben
  30. Zur Feuerwacht herein:
  31. „Ich lass auf kurze Weile
  32. Beim Kessel dich allein,
  33. Will mich mit einem Trunke
  34. Noch stärken zu dem Guss,
  35. Das gibt der zähen Speise
  36. Erst einen vollen Fluss!
  37. Doch hüte dich, und rühre
  38. Den Hahn mir nimmer an:
  39. Sonst wär es um dein Leben,
  40. Fürwitziger, getan!“
  41. Der Bube steht am Kessel,
  42. Schaut in die Glut hinein:
  43. Das wogt und wallt und wirbelt
  44. Und will entfesselt sein –
  45. Und zischt ihm in die Ohren
  46. Und zuckt ihm durch den Sinn
  47. Und zieht an allen Fingern
  48. Ihn nach dem Hahne hin.
  49. Er fühlt ihn in den Händen,
  50. Er hat ihn umgedreht;
  51. Da wird ihm angst und bange,
  52. Er weiß nicht, was er tät –
  53. Und läuft hinaus zum Meister,
  54. Die Schuld ihm zu gestehn,
  55. Will seine Knie umfassen
  56. Und ihn um Gnade flehn.
  57. Doch wie der nur vernommen
  58. Des Knaben erstes Wort,
  59. Da reißt die kluge Rechte
  60. Der jähe Zorn ihm fort.
  61. Er stößt sein scharfes Messer
  62. Dem Buben in die Brust,
  63. Dann stürzt er nach dem Kessel,
  64. Sein selber nicht bewusst.
  65. Vielleicht, dass er noch retten,
  66. Den Strom noch hemmen kann –
  67. Doch sieh, der Guss ist fertig,
  68. Es fehlt kein Tropfen dran.
  69. Da eilt er abzuräumen,
  70. Und sieht, und wills nicht sehn,
  71. Ganz ohne Fleck und Makel
  72. Die Glocke vor sich stehn.
  73. Der Knabe liegt am Boden,
  74. Er schaut sein Werk nicht mehr;
  75. Ach, Meister, wilder Meister,
  76. Du stießest gar zu sehr!
  77. Er stellt sich dem Gerichte,
  78. Er klagt sich selber an.
  79. Es tut den Richtern wehe
  80. Wohl um den wackern Mann;
  81. Doch kann ihn keiner retten,
  82. Und Blut will wieder Blut.
  83. Er hört sein Todesurteil
  84. Mit ungebeugtem Mut.
  85. Und als der Tag gekommen,
  86. Dass man ihn fährt hinaus,
  87. Da wird ihm angeboten
  88. Der letzte Gnadenschmaus.
  89. „Ich dank‘ euch“, spricht der Meister
  90. „lhr Herren lieb und wert;
  91. Doch eine andre Gnade
  92. Mein Herz von euch begehrt:
  93. Lasst mich nur einmal hören
  94. Der neuen Glocke Klang!
  95. Ich hab‘ sie ja bereitet,
  96. Möcht wissen, ob’s gelang.“
  97. Die Bitte ward gewähret,
  98. Sie schien den Herrn gering;
  99. Die Glocke ward geläutet,
  100. Als er zum Tode ging.
  101. Der Meister hört sie klingen
  102. So voll, so hell, so rein!
  103. Die Augen gehn ihm über,
  104. Es muss vor Freude sein.
  105. Und seine Blicke leuchten,
  106. Als wären sie verklärt;
  107. Er hat in ihrem Klange
  108. Wohl mehr als Klang gehört.
  109. Hat auch geneigt den Nacken
  110. Zum Streich voll Zuversicht,
  111. Und was der Tod versprochen,
  112. Das bricht das Leben nicht.
  113. Das ist der Glocken Krone,
  114. Die er gegossen hat,
  115. Die Magdalenenglocke
  116. Zu Breslau in der Stadt.
  117. Die ward zur Sünderglocke
  118. Seit jenem Tag geweiht;
  119. Weiß nicht, ob’s anders worden,
  120. In dieser neuen Zeit.
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Quelle: https://balladen.net/mueller/der-glockenguss-von-breslau/