Ballade vom Brennesselbusch

eine Ballade von Börries von Münchhausen
  1. Liebe fragte Liebe: „Was ist noch nicht mein?“
  2. Sprach zur Liebe Liebe: „Alles, alles dein!“
  3. Liebe küßte Liebe: „Liebste, liebst du mich?“
  4. Küßte Liebe Liebe: „Ewig, ewiglich!“—
  5. Hand in Hand hernieder stieg er mit Maleen
  6. von dem Heidehügel, wo die Nesseln stehen,
  7. eine Nessel brach er, gab er ihrer Hand,
  8. zu der Liebsten sprach er: „Uns brennt heißrer Brand!
  9. Lippe glomm auf Lippe, bis die Lust zum Schmerz,
  10. bis der Atem stockte, brannte Herz auf Herz,
  11. darum, wo nur Nesseln stehn am Straßenrand,
  12. wolln wir daran denken, was uns heute band!“
  13. Spricht von Treu die Liebe, sagt sie „ewig“ nur,-
  14. ach, die Treu am Mittag gilt nur bis zwölf Uhr,
  15. Treue gilt am Abend, bis die Nacht begann –
  16. und doch weiß ich Herzen, die verbluten dran.
  17. Krieg verschlug das Mädchen, wie ein Blatt verweht,
  18. das im Wind die Wege fremder Koppeln geht,
  19. und ihr lieber Liebster stieg zum Königsthron,
  20. eine Königstochter nahm der Königssohn.-
  21. Sieben Jahre gingen, und die Nessel stand
  22. sieben Jahr an jedem deutschen Straßenrand,
  23. wer hat Treu gehalten? Gott alleine weiß,
  24. ob nicht wunde Treue brennet doppelt heiß!
  25. Bei der Jagd im Walde stand mit schwerem Sinn,
  26. stand am Knick der König bei der Königin,
  27. Nesselblatt zum Munde hob er wie gebannt,
  28. und die Lippe brannte, wie sie einst gebrannt:
  29. „Brennettelbusch,
  30. Brennettelbusch so kleene,
  31. wat steihst du so alleene!
  32. Brennettelbusch, wo is myn Tyd‘ eblewen,
  33. un wo is myn Maleen?“
  34. „Sprichst du mit fremder Zunge?“ frug die Königin,
  35. „So sang ich als Junge“, sprach er vor sich hin.
  36. Heim sie ritten schweigend, Abend hing im Land,-
  37. seine Lippen brannten, wie sie einst gebrannt!
  38. Durch den Garten streifte still die Königin,
  39. zu der Magd am Flusse trat sie heimlich hin,
  40. welche Wäsche spülte noch im Sternenlicht,
  41. Tränen sahn die Sterne auf der Magd Gesicht:
  42. „Brennettelbusch,
  43. Brennettelbusch so kleene,
  44. wat steihst du so alleene!
  45. Brennettelbusch,
  46. ik hev de Tyd ‚eweten,
  47. dar was ik nich alleen!“
  48. Sprach die Dame leise: „Sah ich dein Gesicht
  49. unter dem Gesinde? Nein, ich sah es nicht!“
  50. Sprach das Mädchen leiser: „Konntest es nicht sehn,
  51. gestern bin ich kommen, und ich heiß Maleen!“-
  52. Viele Wellen wallen weit ins graue Meer,
  53. eilig sind die Wellen, ihre Hände leer,
  54. eine schleicht so langsam mit den Schwestern hin,
  55. trägt in nassen Armen eine Königin.—
  56. Liebe fragte Liebe: „Sag, weshalb du weinst?“
  57. Raunte Lieb zur Liebe: „Heut ist nicht mehr wie einst!“
  58. Liebe klagte Liebe: „Ists nicht wie vorher?“
  59. Sprach zur Liebe Liebe: „Nimmer – nimmermehr.“

Hintergrund

Die Ballade vom Brennnesselbusch ist eine Liebesballade von Münchhausen, die im Jahr 1910 veröffentlicht wurde. Die Ballade erzählt von der Liebe eines Königssohns und seiner Geliebten Maleen, die sich auf einem Brennnessel-Hügel die ewige Treue schwören. Der Schwur ist zwar nur von kurzer Dauer, denn der Königssohn ehelicht kurz darauf eine Königstochter, doch als diese Jahre später erahnt, dass ihr Mann noch immer an die einstige Geliebte denkt, nimmt sie sich das Leben.

Wahrescheinlich ist, dass die Ballade inhaltlich auf das Grimmsche Märchen Jungfrau Maleen zurückgeht. In diesem wollen eine junge Prinzessin namens Maleen und ein Prinz heiraten. Da ihr Vater hiermit nicht einverstanden ist und sich Maleen seinem Willen zu widersetzen droht, lässt er sie in einen Turm sperren.

Nach sieben Jahren kann die Prinzessin fliehen, findet Anstellung als Magd am Hof des einstigen Geliebten und erfährt, dass dieser kurz vor der Hochzeit mit einer anderen Frau steht. Diese schämt sich ihres Aussehens allerdings so sehr, dass sie Maleen bittet, statt ihrer das Brautkleid anzuziehen und zum Altar zu schreiten.

Maleen spricht während des Hochzeitzuges immer wieder zu einer Brennnessel und verweist somit indirekt darauf, die falsche Braut zu sein. Der Prinz, nicht wissend, dass ihm die Falsche gegenübersteht, fragt nach dem Sinn, weshalb sie antwortet, an Maleen gedacht zu haben, woraufhin ihr der Prinz Geschmeide schenkt.

Am Abend wollen Maleen und die Braut wieder tauschen. Der Prinz bemerkt dies nun jedoch, woraufhin die Braut Maleen köpfen lassen will. Der Prinz weiß dies zu verhindern und wird stattdessen mit seiner einsitgen Geliebten glücklich.
Ballade vom Brennesselbusch von Börries von Münchhausen wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/muenchhausen/ballade-vom-brennesselbusch/