- Auf seiner langen Wanderschaft
- Durch halb Europa sah und hörte
- Ein Löwe viel von Wissenschaft
- Und Kunst. Als er nach Hause kehrte,
- Erhob das treue Volk zum Lohn
- Für das, was er in fremden Landen
- Als Kriegsgefangener ausgestanden,
- Ihn auf den väterlichen Thron.
- Er glaubte – hier wird mancher lachen –
- Er müsse bei der Nation
- Sich nun durch Wohltun Ehre machen,
- Und faßte den Entschluß, sein Reich,
- Dem großen Kaiser Peter gleich,
- Durch Künste zu zivilisieren.
- Frohlockend lobte der Senat
- Den schönen Plan; auch bei den Tieren
- Will nur ein Ochs deliberieren,
- Wenn der Monarch gesprochen hat,
- Und damals saßen diese Herren,
- Die gern dem Licht das Tor versperren,
- Noch nicht in dem geheimen Rat.
- Der König ließ durch sein Mandat
- Die Kandidaten aller Stufen
- Gar huldreich zum Konkurs berufen.
- Zuerst erschien ein großer Bär,
- Der aufrecht vor den Thron sich pflanzte,
- Und bald ins Kreuz bald in die Quer
- Auf polnisch und kosakisch tanzte.
- Mit Jauchzen ward der Postulant
- Zum Doktor seiner Kunst ernannt.
- Itzt nahte sich dem Königsstuhle
- Die Nachtigall. Kaum spielte sie
- Ihr Lied voll Geist und Melodie,
- So übergab man ihr die Schule
- Der Tonkunst und der Poesie.
- Das Lehramt der Philosophie
- Ward einem Affen aufgetragen;
- Sein allumfassendes Genie
- Glich einem bodenlosen Magen;
- Er wußte das Warum und Wie
- Von jedem Dinge. Kurz zu sagen,
- Er diente vormals in Paris
- Bei einem Enzyklopädisten,
- Der keine Müh sich dauern ließ
- Mit seiner Kunst ihn auszurüsten.
- Nun war der Unterricht im Gang,
- Schon ward es aller Orten helle;
- Schon wechselten Konzert und Bälle
- Am Hof; das Licht der Wahrheit drang
- In jeden Kopf; bei allen Tieren
- Verschwanden Vorurteil und Wahn;
- Sogar die Schöpse fingen an
- Von Zeit und Raum zu disputieren.
- Indessen fand der Großsultan
- Das Volk nicht um ein Härchen besser;
- Der Fuchs war stets ein Hühnerfresser
- Und von des Wolfes Mörderzahn
- Ward, nach wie vor, das Schaf zerrissen;
- Nur daß er oft in frechen Schlüssen
- Bewies, er habe recht getan.
- So ging es bald im ganzen Lande,
- Und konnte nicht wohl anders gehn.
- Ha! rief der Schach, zu meiner Schande
- Bekenn ich, daß ich falsch gesehn.
- Den Irrtum hab ich zwar vertrieben,
- Allein die Laster sind geblieben.
- Anstatt in meiner Monarchie
- Gelehrte Bürger ziehn zu wollen,
- Hätt ich vor allen Dingen sie
- Zu guten Bürgern machen sollen.
Die Aufklärung
… eine Ballade von Gottlieb Konrad PfeffelDie Aufklärung von Gottlieb Konrad Pfeffel wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/pfeffel/die-aufklaerung/
Quelle: https://balladen.net/pfeffel/die-aufklaerung/