- Lange her ist’s, dass Suleicha
- Jung und schön und reich und üppig,
- Josef ihren keuschen Sklaven
- Wollte ziehn in ihre Arme,
- Denen er den Kerker verzog.
- Er indes ist aus dem Kerker
- Zu Ägyptens Thron gestiegen,
- Jung und schön ist er geblieben,
- Reich geworben, nur nicht üppig;
- Sie aus ihren Hochpalästen
- In der Armut niedre Hütte,
- Alt, bemüthig eingezogen.
- Alles Glück hat sie verlassen,
- Nur nicht Josef’s Angedenken,
- Wenn das ist ein Glück zu nennen,
- Was sie an verlornen Glückes
- Träume noch in Träumen mahnet.
- Doch die Blume der Entsagung
- Ist aus ihrer Liebe Schmerzen,
- Wie aus Rosen eine Lilie,
- Hell und glänzend aufgegangen.
- In der Liebe Koran heißt es:
- „Die Entsagung bring Erhöhung,
- Die Verstoßung Luftvereinigung.“
- Gabriel von Gottes Throne
- Bringt die Urkund’ ausgefertigt,
- Von den werthen Schreiberengeln,
- Blumenschrift auf Gold geschrieben,
- Von den Zeugen unterzeichnet,
- Von dem Richter selbst besiegelt,
- Dass der Ehebund im Himmel
- Ist geschlossen, und auf Erden
- Josef die Suleicha freiet.
- Feierlich im Hochzeitzuge
- Wird die Braut zu ihres Gatten
- Haus geführt, die schnellverjüngte,
- Jünger als sie jung gewesen,
- Weil die Liebe sie verjüngt,
- Schöner als sie schön gewesen,
- Weil die Liebe sie schön gewesen,
- Weil die Demut sie so reich war,
- Weil die Frömmigkeit mit reicherm
- Als Juwelenschmuck sie schmückte.
- Ihrer harrt der ungeduld’ge
- Bräutigam im Brautgemache,
- Doch sie beugt die schönen Glieder
- Erst, in Andacht sich versenkend,
- Zum Gebet, und macht es lange.
- Josef spricht: „Bist du Suleicha,
- Die Suleicha, deren inbrunst
- Mir zerriss den Saum des Hemdes?“
- „Die Suleicha,“ spricht Suleicha,
- „Bin ich nicht, ich bin die andre;
- Jene war die reichersehnte.“
- Aber Josef, der nun alle
- Sehnsucht fühlt, die sie einst fühlte,
- Wie er will zu sich herüber
- Ziehn die säumende, zerreißt er
- Heftig ihr den Saum des Hemdes.
- Gabriel (im Brautgemache
- War er mit dabei) sprach lächelnd:
- „Hemd um Hemde, ausgeglichen
- Ist die Rechnung, und die Sühne
- Gegenseitig. Gott besohlen!“
- Rief’s und gieng, und schloss die Kammer
- Leise zu mit Himmelsdufte
Jusuf und Suleicha
… eine Ballade von Friedrich RückertJusuf und Suleicha von Friedrich Rückert wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/rueckert/jusuf-und-suleicha/
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