Der Kampf mit dem Drachen

eine Ballade von Friedrich Schiller
  1. Was rennt das Volk, was wälzt sich dort
  2. Die langen Gassen brausend fort?
  3. Stürzt Rhodus unter Feuers Flammen?
  4. Es rottet sich im Sturm zusammen,
  5. Und einen Ritter, hoch zu Roß,
  6. Gewahr’ ich aus dem Menschentroß,
  7. Und hinter ihm, welch Abentheuer!
  8. Bringt man geschleppt ein Ungeheuer,
  9. Ein Drache scheint es von Gestalt,
  10. Mit weitem Krokodilesrachen,
  11. Und alles blickt verwundert bald
  12. Den Ritter an und bald den Drachen.
  13. Und tausend Stimmen werden laut,
  14. Das ist der Lindwurm, kommt und schaut!
  15. Der Hirt und Heerden uns verschlungen,
  16. Das ist der Held, der ihn bezwungen!
  17. Viel andre zogen vor ihm aus,
  18. Zu wagen den gewaltgen Strauß,
  19. Doch keinen sah man wiederkehren,
  20. Den kühnen Ritter soll man ehren!
  21. Und zum Pallaste geht der Zug,
  22. Wo Sankt Johanns des Täufers Orden,
  23. Die Ritter des Spitals im Flug
  24. Zu Rathe sind versammelt worden.
  25. Und vor den edeln Meister tritt
  26. Der Großkreuz mit bescheidnem Schritt,
  27. Nachdrängt das Volk, mit wildem Rufen.
  28. Erfüllend des Geländes Stuffen,
  29. Und jener nimmt das Wort und spricht:
  30. Ich hab’ erfüllt die Ritterpflicht,
  31. Der Drache der das Land verödet,
  32. Er liegt von meiner Hand getödtet,
  33. Frei ist dem Wanderer der Weg,
  34. Der Hirte treibe ins Gefilde,
  35. Froh walle auf dem Felsensteg
  36. Der Pilgrim zu dem Gnadenbilde.
  37. Doch strenge blickt der Fürst ihn an
  38. Und spricht: Du hast als Held gethan,
  39. Der Muth ists, der den Ritter ehret,
  40. Du hast den kühnen Geist bewähret.
  41. Doch sprich! Was ist die erste Pflicht
  42. Des Ritters, der für Christum ficht,
  43. Sich schmücket mit des Kreutzes Zeichen?
  44. Und alle rings herum erbleichen.
  45. Doch er, mit edelm Anstand, spricht,
  46. Indem er sich erröthend neiget.
  47. Gehorsam ist die erste Pflicht,
  48. Die ihn des Schmuckes würdig zeiget.
  49. Und diese Pflicht, mein Sohn, versetzt
  50. Der Meister, hast du frech verletzt,
  51. Den Kampf, den das Gesetz versaget,
  52. Hast du mit frevlem Mut gewaget! –
  53. Herr, richte wenn du alles weißt,
  54. Spricht jener mit gesetztem Geist,
  55. Denn des Gesetzes Sinn und Willen
  56. Vermeint ich treulich zu erfüllen,
  57. Nicht unbedachtsam zog ich hin,
  58. Das Ungeheuer zu bekriegen,
  59. Durch List und kluggewandten Sinn
  60. Versucht ich’s, in dem Kampf zu siegen.
  61. Fünf unsers Ordens waren schon,
  62. Die Zierden der Religion,
  63. Des kühnen Muthes Opfer worden,
  64. Da wehrtest du den Kampf dem Orden.
  65. Doch an dem Herzen nagte mir
  66. Der Unmuth und die Streitbegier,
  67. Ja selbst im Traum der stillen Nächte
  68. Fand ich mich keuchend im Gefechte,
  69. Und wenn der Morgen dämmernd kam,
  70. Und Kunde gab von neuen Plagen,
  71. Da faßte mich ein wilder Gram,
  72. Und ich beschloß, es frisch zu wagen.
  73. Und zu mir selber sprach ich dann:
  74. Was schmückt den Jüngling, ehrt den Mann,
  75. Was leisteten die tapfern Helden
  76. Von denen uns die Lieder melden?
  77. Die zu der Götter Glanz und Ruhm
  78. Erhub das blinde Heidenthum?
  79. Sie reinigten von Ungeheuern
  80. Die Welt in kühnen Abentheuern,
  81. Begegneten im Kampf dem Leu’n
  82. Und rangen mit dem Minotauren,
  83. Die armen Opfer zu befrein,
  84. Und ließen sich das Blut nicht dauren.
  85. Ist nur der Saracen es werth,
  86. Daß ihn bekämpft des Christen Schwerdt?
  87. Bekriegt er nur die falschen Götter?
  88. Gesandt ist er der Welt zum Retter,
  89. Von jeder Noth und jedem Harm
  90. Befreien muß sein starker Arm,
  91. Doch seinen Muth muß Weißheit leiten
  92. Und List muß mit der Stärke streiten.
  93. So sprach ich oft und zog allein,
  94. Des Raubthiers Fährte zu erkunden,
  95. Da flößte mir der Geist es ein,
  96. Froh rief ich aus, ich hab’s gefunden.
  97. Und trat zu dir und sprach dieß Wort:
  98. „Mich zieht es nach der Heimat fort.“
  99. Du Herr willfahrtest meinen Bitten
  100. Und glücklich war das Meer durchschnitten.
  101. Kaum stieg ich aus am heimschen Strand,
  102. Gleich ließ ich durch des Künstlers Hand
  103. Getreu den wohlbemerkten Zügen
  104. Ein Drachenbild zusammenfügen.
  105. Auf kurzen Füßen wird die Last
  106. Des langen Leibes aufgethürmet,
  107. Ein schuppicht Panzerhemd umfaßt
  108. Den Rücken, den es furchtbar schirmet.
  109. Lang strecket sich der Hals hervor,
  110. Und gräßlich wie ein Höllenthor
  111. Als schnappt es gierig nach der Beute,
  112. Eröfnet sich des Rachens Weite,
  113. Und aus dem schwarzen Schlunde dräun
  114. Der Zähne stachelichte Reihn,
  115. Die Zunge gleicht des Schwerdtes Spitze
  116. Die kleinen Augen sprühen Blitze,
  117. In einer Schlange endigt sich
  118. Des Rückens ungeheure Länge,
  119. Rollt um sich selber fürchterlich,
  120. Daß es um Mann und Roß sich schlänge.
  121. Und alles bild ich nach, genau,
  122. Und kleid es in ein scheußlich Grau,
  123. Halb Wurm erschiens, halb Molch und Drache,
  124. Gezeuget in der giftgen Lache;
  125. Und als das Bild vollendet war,
  126. Erwähl’ ich mir ein Dockenpaar,
  127. Gewaltig, schnell, von flinken Läufen,
  128. Gewohnt den wilden Uhr zu greifen,
  129. Die hetz ich auf den Lindwurm an,
  130. Erhitze sie zu wildem Grimme,
  131. Zu fassen ihn mit scharfem Zahn,
  132. Und lenke sie mit meiner Stimme.
  133. Und wo des Bauches weiches Vließ
  134. Den scharfen Bissen Blöße ließ,
  135. Da reiz ich sie den Wurm zu packen,
  136. Die spitzen Zähne einzuhacken.
  137. Ich selbst, bewaffnet mit Geschoß
  138. Besteige mein arabisch Roß,
  139. Von adelicher Zucht entstammet,
  140. Und als ich seinen Zorn entflammet,
  141. Rasch auf den Drachen spreng ich’s los,
  142. Und stachl’ es mit den scharfen Sporen,
  143. Und werfe zielend mein Geschoß,
  144. Als wollt’ ich die Gestalt durchbohren.
  145. Ob auch das Roß sich grauend bäumt
  146. Und knirrscht und in den Zügel schäumt,
  147. Und meine Docken ängstlich stöhnen,
  148. Nicht rast ich, bis sie sich gewöhnen.
  149. So üb ichs aus mit Emsigkeit,
  150. Bis dreimal sich der Mond erneut,
  151. Und als sie jedes recht begriffen,
  152. Führ ich sie her auf schnellen Schiffen.
  153. Der dritte Morgen ist es nun,
  154. Daß mirs gelungen hier zu landen,
  155. Den Gliedern gönnt ich kaum zu ruhn,
  156. Bis ich das große Werk bestanden.
  157. Denn heiß erregte mir das Herz
  158. Des Landes frisch erneuter Schmerz,
  159. Zerrissen fand man jüngst die Hirten,
  160. Die nach dem Sumpfe sich verirrten,
  161. Und ich beschließe rasch die That,
  162. Nur von dem Herzen nehm ich Rath.
  163. Flugs unterricht ich meine Knappen,
  164. Besteige den versuchten Rappen,
  165. Und von dem edeln Dockenpaar
  166. Begleitet, auf geheimen Wegen,
  167. Wo meiner That kein Zeuge war,
  168. Reit ich dem Feinde frisch entgegen.
  169. Das Kirchlein kennst du Herr, das hoch
  170. Auf eines Felsenberges Joch
  171. Der weit die Insel überschauet,
  172. Des Meisters kühner Geist erbauet.
  173. Verächtlich scheint es, arm und klein,
  174. Doch ein Mirakel schließt es ein,
  175. Die Mutter mit dem Jesusknaben,
  176. Den die drey Könige begaben.
  177. Auf dreimal dreißig Stufen steigt
  178. Der Pilgrim nach der steilen Höhe,
  179. Doch hat er schwindelnd sie erreicht,
  180. Erquickt ihn seines Heilands Nähe.
  181. Tief in den Fels, auf dem es hängt,
  182. Ist eine Grotte eingesprengt,
  183. Vom Thau des nahen Moors befeuchtet,
  184. Wohin des Himmels Strahl nicht leuchtet,
  185. Hier hausete der Wurm und lag
  186. Den Raub erspähend Nacht und Tag,
  187. So hielt er wie der Höllendrache
  188. Am Fuß des Gotteshauses Wache,
  189. Und kam der Pilgrim hergewallt,
  190. Und lenkte in die Unglücksstraße,
  191. Hervorbrach aus dem Hinterhalt
  192. Der Feind und trug ihn fort zum Fraße.
  193. Den Felsen stieg ich jezt hinan,
  194. Eh ich den schweren Strauß begann,
  195. Hin kniet’ ich vor dem Christuskinde,
  196. Und reinigte mein Herz von Sünde,
  197. Drauf gürt’ ich mir im Heiligthum
  198. Den blanken Schmuck der Waffen um,
  199. Bewehre mit dem Spieß die Rechte,
  200. Und nieder steig ich zum Gefechte.
  201. Zurücke bleibt der Knappen Troß,
  202. Ich gebe scheidend die Befehle,
  203. Und schwinge mich behend aufs Roß,
  204. Und Gott empfehl ich meine Seele.
  205. Kaum seh ich mich im ebnen Plan,
  206. Flugs schlagen meine Docken an,
  207. Und bang beginnt das Roß zu keuchen,
  208. Und bäumet sich und will nicht weichen,
  209. Denn nahe liegt, zum Knäul geballt,
  210. Des Feindes scheußliche Gestalt,
  211. Und sonnet sich auf warmem Grunde,
  212. Auf jagen ihn die flinken Hunde,
  213. Doch wenden sie sich pfeilgeschwind
  214. Als es den Rachen gähnend theilet,
  215. Und von sich haucht den giftgen Wind,
  216. Und winselnd wie der Schakal heulet.
  217. Doch schnell erfrisch ich ihren Muth,
  218. Sie fassen ihren Feind mit Wuth,
  219. Indem ich nach des Thieres Lende
  220. Aus starker Faust den Speer versende,
  221. Doch machtlos wie ein dünner Stab
  222. Prallt er vom Schuppenpanzer ab,
  223. Und eh ich meinen Wurf erneuet,
  224. Da bäumet sich mein Roß und scheuet
  225. An seinem Basiliskenblick
  226. Und seines Athems giftgem Wehen,
  227. Und mit Entsetzen springts zurück,
  228. Und jetzo wars um mich geschehen –
  229. Da schwing ich mich behend vom Roß,
  230. Schnell ist des Schwerdtes Schneide bloß,
  231. Doch alle Streiche sind verloren,
  232. Den Felsenharnisch zu durchbohren,
  233. Und wüthend mit des Schweifes Kraft
  234. Hat es zur Erde mich gerafft,
  235. Schon seh ich seinen Rachen gähnen,
  236. Es haut nach mir mit grimmen Zähnen,
  237. Als meine Hunde wuthentbrannt
  238. An seinen Bauch mit grimmgen Bissen
  239. Sich warfen, daß es heulend stand,
  240. Von ungeheurem Schmerz zerrissen.
  241. Und eh es ihren Bissen sich
  242. Entwindet, rasch erheb ich mich,
  243. Erspähe mir des Feindes Blöße,
  244. Und stoße tief ihm ins Gekröse
  245. Nachbohrend bis ans Heft den Stahl,
  246. Schwarzquellend springt des Blutes Strahl,
  247. Hin sinkt es und begräbt im Falle
  248. Mich mit des Leibes Riesenballe,
  249. Daß schnell die Sinne mir vergehn,
  250. Und als ich neugestärkt erwache,
  251. Seh ich die Knappen um mich stehn,
  252. Und todt im Blute liegt der Drache.“ –
  253. Des Beifalls lang gehemmte Lust
  254. Befreit jetzt aller Hörer Brust,
  255. So wie der Ritter dieß gesprochen,
  256. Und zehnfach am Gewölb gebrochen
  257. Wälzt der vermischten Stimmen Schall
  258. Sich brausend fort im Wiederhall,
  259. Laut fodern selbst des Ordens Söhne,
  260. Daß man die Heldenstirne kröne,
  261. Und dankbar im Triumphgepräng
  262. Will ihn das Volk dem Volke zeigen,
  263. Da faltet seine Stirne streng
  264. Der Meister und gebietet Schweigen.
  265. Und spricht: Den Drachen, der dieß Land
  266. Verheert, schlugst du mit tapfrer Hand,
  267. Ein Gott bist du dem Volke worden,
  268. Ein Feind kommst du zurück dem Orden,
  269. Und einen schlimmern Wurm gebahr
  270. Dein Herz, als dieser Drache war.
  271. Die Schlange, die das Herz vergiftet,
  272. Die Zwietracht und Verderben stiftet,
  273. Das ist der widerspenstge Geist
  274. Der gegen Zucht sich frech empöret,
  275. Der Ordnung heilig Band zerreißt,
  276. Denn der ists, der die Welt zerstöret.
  277. Muth zeiget auch der Mameluk,
  278. Gehorsam ist des Christen Schmuck;
  279. Denn wo der Herr in seiner Größe
  280. Gewandelt hat in Knechtes Blöße,
  281. Da stifteten, auf heilgem Grund,
  282. Die Väter dieses Ordens Bund,
  283. Der Pflichten schwerste zu erfüllen,
  284. Zu bändigen den eignen Willen!
  285. Dich hat der eitle Ruhm bewegt,
  286. Drum wende dich aus meinen Blicken,
  287. Denn wer des Herren Joch nicht trägt,
  288. Darf sich mit seinem Kreuz nicht schmücken.
  289. Da bricht die Menge tobend aus,
  290. Gewaltger Sturm bewegt das Haus,
  291. Um Gnade flehen alle Brüder,
  292. Doch schweigend blickt der Jüngling nieder,
  293. Still legt er von sich das Gewand
  294. Und küßt des Meisters strenge Hand
  295. Und geht. Der folgt ihm mit dem Blicke,
  296. Dann ruft er liebend ihn zurücke
  297. Und spricht: Umarme mich mein Sohn!
  298. Dir ist der härtre Kampf gelungen.
  299. Nimm dieses Kreuz, es ist der Lohn
  300. Der Demuth, die sich selbst bezwungen.
Der Kampf mit dem Drachen von Friedrich Schiller wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/schiller/der-kampf-mit-dem-drachen/