- Seht ihr dort die altergrauen
- Schlösser sich entgegen schauen,
- Leuchtend in der Sonne Gold,
- Wo der Hellespont die Wellen
- Brausend durch der Dardanellen
- Hohe Felsenpforte rollt?
- Hört ihr jene Brandung stürmen,
- Die sich an den Felsen bricht?
- Asien riß sie von Europen,
- Doch die Liebe schreckt sie nicht.
- Heros und Leanders Herzen
- Rührte mit dem Pfeil der Schmerzen
- Amors heilge Göttermacht.
- Hero, schön wie Hebe blühend,
- Er, durch die Gebirge ziehend
- Rüstig, im Geräusch der Jagd.
- Doch der Väter feindlich Zürnen
- Trennte das verbundne Paar,
- Und die süße Frucht der Liebe
- Hing am Abgrund der Gefahr.
- Dort auf Sestos‘ Felsenturme,
- Den mit ewgem Wogensturme
- Schäumend schlägt der Hellespont,
- Saß die Jungfrau, einsam grauend,
- Nach Abydos‘ Küste schauend,
- Wo der Heißgeliebte wohnt.
- Ach, zu dem entfernten Strande
- Baut sich keiner Brücke Steg,
- Und kein Fahrzeug stößt vom Ufer,
- Doch die Liebe fand den Weg.
- Aus des Labyrinthes Pfaden
- Leitet sie mit sicherm Faden,
- Auch den Blöden macht sie klug,
- Beugt ins Joch die wilden Tiere,
- Spannt die feuersprühnden Stiere
- An den diamantnen Pflug.
- Selbst der Styx, der neunfach fließet,
- Schließt die wagende nicht aus,
- Mächtig raubt sie das Geliebte
- Aus des Pluto finsterm Haus.
- Auch durch des Gewässers Fluten
- Mit der Sehnsucht feurgen Gluten
- Stachelt sie Leanders Mut.
- Wenn des Tages heller Schimmer
- Bleichet, stürzt der kühne Schwimmer
- In des Pontus finstre Flut,
- Teilt mit starkem Arm die Woge,
- Strebend nach dem teuren Strand,
- Wo auf hohem Söller leuchtend
- Winkt der Fackel heller Brand.
- Und in weichen Liebesarmen
- Darf der Glückliche erwarmen
- Von der schwer bestandnen Fahrt,
- Und den Götterlohn empfangen,
- Den in seligem Umfangen
- Ihm die Liebe aufgespart,
- Bis den Säumenden Aurora
- Aus der Wonne Träumen weckt,
- Und ins kalte Bett des Meeres
- Aus dem Schoß der Liebe schreckt.
- Und so flohen dreißig Sonnen
- Schnell, im Raub verstohlner Wonnen,
- Dem beglückten Paar dahin,
- Wie der Brautnacht süße Freuden,
- Die die Götter selbst beneiden,
- Ewig jung und ewig grün.
- Der hat nie das Glück gekostet,
- Der die Frucht des Himmels nicht
- Raubend an des Höllenflusses
- Schauervollem Rande bricht.
- Hesper und Aurora zogen
- Wechselnd auf am Himmelsbogen,
- Doch die Glücklichen, sie sahn
- Nicht den Schmuck der Blätter fallen,
- Nicht aus Nords beeisten Hallen
- Den ergrimmten Winter nahn.
- Freudig sahen sie des Tages
- Immer kürzern, kürzern Kreis,
- Für das längre Glück der Nächte
- Dankten sie betört dem Zeus.
- Und es gleichte schon die Waage
- An dem Himmel Nächt und Tage,
- Und die holde Jungfrau stand
- Harrend auf dem Felsenschlosse,
- Sah hinab die Sonnenrosse
- Fliehen an des Himmels Rand.
- Und das Meer lag still und eben,
- Einem reinen Spiegel gleich,
- Keines Windes leises Weben
- Regte das kristallne Reich.
- Lustige Delphinenscharen
- Scherzten in dem silberklaren
- Reinen Element umher,
- Und in schwärzlicht grauen Zügen
- Aus dem Meergrund aufgestiegen
- Kam der Tethys buntes Heer.
- Sie, die einzigen, bezeugten
- Den verstohlnen Liebesbund,
- Aber ihnen schloß auf ewig
- Hekate den stummen Mund.
- Und sie freute sich des schönen
- Meeres, und mit Schmeicheltönen
- Sprach sie zu dem Element:
- »Schöner Gott! du solltest trügen?
- Nein, den Frevler straf ich Lügen,
- Der dich falsch und treulos nennt.
- Falsch ist das Geschlecht der Menschen,
- Grausam ist des Vaters Herz,
- Aber du bist mild und gütig,
- Und dich rührt der Liebe Schmerz.
- In den öden Felsenmauern
- Müßt ich freudlos einsam trauern
- Und verblühn in ewgem Harm,
- Doch du trägst auf deinem Rücken
- Ohne Nachen, ohne Brücken,
- Mir den Freund in meinen Arm.
- Grauenvoll ist deine Tiefe,
- Furchtbar deiner Wogen Flut,
- Aber dich erfleht die Liebe,
- Dich bezwingt der Heldenmut.
- Denn auch dich, den Gott der Wogen,
- Rührte Eros‘ mächtger Bogen,
- Als des goldnen Widders Flug
- Helle, mit dem Bruder fliehend,
- Schön in Jugendfülle blühend,
- Über deine Tiefe trug.
- Schnell von ihrem Reiz besieget
- Griffst du aus dem finstern Schlund,
- Zogst sie von des Widders Rücken
- Nieder in den Meeresgrund.
- Eine Göttin mit dem Gotte,
- In der tiefen Wassergrotte
- Lebt sie jetzt unsterblich fort,
- Hilfreich der verfolgten Liebe
- Zähmt sie deine wilden Triebe,
- Führt den Schiffer in den Port.
- Schöne Helle! Holde Göttin!
- Selige, dich fleh ich an:
- Bring auch heute den Geliebten
- Mir auf der gewohnten Bahn.«
- Und schon dunkelten die Fluten,
- Und sie ließ der Fackel Gluten
- Von dem hohen Söller wehn.
- Leitend in den öden Reichen
- Sollte das vertraute Zeichen
- Der geliebte Wandrer sehn.
- Und es saust und dröhnt von ferne,
- Finster kräuselt sich das Meer,
- Und es löscht das Licht der Sterne,
- Und es naht gewitterschwer.
- Auf des Pontus weite Fläche
- Legt sich Nacht, und Wetterbäche
- Stürzen aus der Wolken Schoß,
- Blitze zucken in den Lüften,
- Und aus ihren Felsengrüften
- Werden alle Stürme los,
- Wühlen ungeheure Schlünde
- In den weiten Wasserschlund,
- Gähnend wie ein Höllenrachen
- Öffnet sich des Meeres Grund.
- »Wehe! Weh mir!« ruft die Arme
- Jammernd, »Großer Zeus, erbarme!
- Ach! Was wagt‘ ich zu erflehn!
- Wenn die Götter mich erhören,
- Wenn er sich den falschen Meeren
- Preisgab in des Sturmes Wehn!
- Alle meergewohnten Vögel
- Ziehen heim in eilger Flucht,
- Alle sturmerprobten Schiffe
- Bergen sich in sichrer Bucht.
- Ach gewiß, der Unverzagte
- Unternahm das oft Gewagte,
- Denn ihn trieb ein mächtger Gott.
- Er gelobte mirs beim Scheiden
- Mit der Liebe heilgen Eiden,
- Ihn entbindet nur der Tod.
- Ach! in diesem Augenblicke
- Ringt er mit des Sturmes Wut,
- Und hinab in ihre Schlünde
- Reißt ihn die empörte Flut.
- Falscher Pontus, deine Stille
- War nur des Verrates Hülle,
- Einem Spiegel warst du gleich,
- Tückisch ruhten deine Wogen,
- Bis du ihn heraus betrogen
- In dein falsches Lügenreich.
- Jetzt in deines Stromes Mitte,
- Da die Rückkehr sich verschloß,
- Lässest du auf den Verratnen
- Alle deine Schrecken los.«
- Und es wächst des Sturmes Toben,
- Hoch zu Bergen aufgehoben
- Schwillt das Meer, die Brandung bricht
- Schäumend sich am Fuß der Klippen,
- Selbst das Schiff mit Eichenrippen
- Nahte unzerschmettert nicht.
- Und im Wind erlischt die Fackel
- Die des Pfades Leuchte war,
- Schrecken bietet das Gewässer,
- Schrecken auch die Landung dar.
- Und sie fleht zur Aphrodite,
- Daß sie dem Orkan gebiete,
- Sänftige der Wellen Zorn,
- Und gelobt, den strengen Winden
- Reiche Opfer anzuzünden,
- Einen Stier mit goldnem Horn.
- Alle Göttinnen der Tiefe,
- Alle Götter in der Höh
- Fleht sie, lindernd Öl zu gießen
- In die sturmbewegte See.
- »Höre meinen Ruf erschallen,
- Steig aus deinen grünen Hallen,
- Selige Leukothea!
- Die der Schiffer in dem öden
- Wellenreich, in Sturmesnöten
- Rettend oft erscheinen sah.
- Reich ihm deinen heilgen Schleier,
- Der, geheimnisvoll gewebt,
- Die ihn tragen, unverletzlich
- Aus dem Grab der Fluten hebt.«
- Und die wilden Winde schweigen,
- Hell an Himmels Rande steigen
- Eos‘ Pferde in die Höh.
- Friedlich in dem alten Bette
- Fließt das Meer in Spiegelsglätte,
- Heiter lächeln Luft und See.
- Sanfter brechen sich die Wellen
- An des Ufers Felsenwand,
- Und sie schwemmen, ruhig spielend,
- Einen Leichnam an den Strand.
- Ja, er ists, der, auch entseelet,
- Seinem heilgen Schwur nicht fehlet!
- Schnellen Blicks erkennt sie ihn,
- Keine Klage läßt sie schallen,
- Keine Träne sieht man fallen,
- Kalt, verzweifelnd starrt sie hin.
- Trostlos in die öde Tiefe
- Blickt sie, in des Äthers Licht,
- Und ein edles Feuer rötet
- Das erbleichte Angesicht.
- »Ich erkenn euch, ernste Mächte,
- Strenge treibt ihr eure Rechte,
- Furchtbar, unerbittlich ein.
- Früh schon ist mein Lauf beschlossen,
- Doch das Glück hab ich genossen,
- Und das schönste Los war mein.
- Lebend hab ich deinem Tempel
- Mich geweiht als Priesterin,
- Dir ein freudig Opfer sterb ich,
- Venus, große Königin!«
- Und mit fliegendem Gewande
- Schwingt sie von des Turmes Rande
- In die Meerflut sich hinab.
- Hoch in seinen Flutenreichen
- Wälzt der Gott die heilgen Leichen,
- Und er selber ist ihr Grab.
- Und mit seinem Raub zufrieden
- Zieht er freudig fort und gießt
- Aus der unerschöpften Urne
- Seinen Strom, der ewig fließt.
Hero und Leander
… eine Ballade von Friedrich SchillerHero und Leander von Friedrich Schiller wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/schiller/hero-und-leander/
Quelle: https://balladen.net/schiller/hero-und-leander/