- Bei strömendem Regen im Biwuak
- Kampierten drei müde Rekruten.
- Sie legten den Kopf auf den Mantelsack
- Und zogen den Hals in die Kutten
- Der Regen rauschte, sie merktens kaum,
- Und sachte, vom Wunsch zum Gedanken
- Begann in Bälde ein tröstlicher Traum
- Vor ihren Augen zu schwanken.
- Sie meinten in ihrer Phantasei,
- Als wären sie schon Generäle,
- Im Schlachtengetümmel und Feldgeschrei
- Diktierend die barschen Befehle.
- Gemeinsam dünkte den dreien vereint,
- Man wolle sie überflügeln
- Und unerschöpflich flute der Feind
- Herab von den mörderischen Hügeln.
- Und Adjutanten kämen gesprengt,
- Bleichwangig, umblitzt von Granaten:
- „Wir sind umzingelt und eingezwängt.
- Man meutert. Man wähnt sich verraten.“
- Da sprach der erste: „Ich hab einen Kern
- Von Jägern und von Husaren.
- Der Teufel ist ledig und Hilfe ist fern,
- Jetzt gilt es, die Ehre zu wahren.“
- Ingrimmig faßt er den Säbelknauf,
- Ermahnte zur Pflicht und zur Ehre,
- Dann vorwärts ging es in rasendem Lauf,
- Als ob es der Sturmwind wäre.
- Aus tausend Schlünden zischte der Tod,
- Sie grüßten ihn ohne Bangen;
- Die meisten färbten den Boden rot,
- Er fiel und wurde gefangen.
- Bewundernd pflegt ihn der edle Feind
- Und schenkt ihm den rühmlichen Degen.
- Er hatte seit Jahren nie geweint,
- Jetzt spürt er im Auge sichs regen
- Der zweite sprach: „Ich habe zur Hand
- Ein Häuflein von Veteranen,
- Ergeben Gott und dem Vaterland,
- Gehorsam dem Winke der Fahnen.“
- Rasch formt er das Viereck zum letzten Stoß.
- „Brüder“, begann er begeistert,
- „Gott ist uns dawider, der Feind ist zu groß,
- Der Tod nur wird niemals bemeistert.
- Heut heißt es bekunden, was einer wert,
- Und ob den Vätern wir gleichen.
- Wir kämpfen, so lange der Atem währt,
- Und hemmen den Durchpaß als Leichen.“
- „Hurra!“ erscholl es wie Donnergebraus.
- Dann rückten sie mit Gesange
- Langsam aus dem schirmenden Hohlweg hinaus
- Zum heiligen Todesgange.
- Und als am Abend nach bitterem Streit
- Man sah nach den Toten und Wunden,
- Da ward von dem Samaritergeleit
- Ein schaurig Schauspiel gefunden.
- Zu Bergen starrte die tapfere Schar,
- Leichnam auf Leichnam geschichtet,
- Im Toden noch boten Trotz sie dar,
- Das Antlitz feindwärts gerichtet.
- Und Freund und Gegner entblößten sich stumm
- Vor des Anblicks grausiger Schöne,
- Und flüsternd gings in den Reihen um:
- „Hier schaut man Heldensöhne.“
- Doch der dritte schweigend die Karte las
- Auf der Brüstung der Kirchhofmauer.
- Mitunter hob er das Augenglas
- Und nahm den Feind auf die Lauer.
- Er spähte nach rechts und spähte nach links,
- Die Augen funkelnd vor Tücke.
- Wahrhaftig entdeckt er plötzlicherdings
- Im Ring die erlösende Lücke.
- Und eh einer wußte, wie das geschah,
- Hatt er flugs in die Bresche geschmissen
- Die Reserven alle von fern und nah
- Und dem Feinde die Walstatt entrissen.
- Der Regen plätscherte nach wie vor.
- Da stieg auf verborgenen Stegen
- Gewappnet ein riesiger Geist empor
- Und schwebte heran durch den Regen.
- Er nickte dem letzten: „Herr General,
- Wir lernen uns näher kennen.
- Ob früher, ob später, es wird einmal
- Der Ruhm deinen Namen nennen.
- Ihr andern beide, merkt euch den Satz:
- Entschlagt euch das Oberbefehlen.
- In jeglichem Regimente ist Platz
- Für mutige Fähndrichsseelen.
- Pflicht, Ehre, Begeisterung geb ich euch feil,
- Sich bescheidend im Unterliegen.
- Generäle brauch ich im Gegenteil,
- Die nicht vergessen zu siegen.“
Die drei Rekruten
… eine Ballade von Carl SpittelerDie drei Rekruten von Carl Spitteler wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/spitteler/die-drei-rekruten/
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