Seltha, die Kindermörderin

eine Ballade von Gotthold Friedrich Stäudlin
  1. Ha! wie getroffen steh‘ ich hier!
  2. Wie ist das Mark, die Seele mir
  3. Von bangem Schaur durchflossen!
  4. Ach weh! es ist dein Blut, mein Kind!
  5. Das hier an diesem Felsen rinnt!
  6. Ach weh! ich hab’s vergossen!
  7. Vergossen, Mutter! Kindesblut!
  8. Fühl’s ganz, wie lastend auf dir ruht
  9. Der Fluch vom Sündenrächer!
  10. Nimm, armes Weib! nimm aus der Hand
  11. Der Rache, die von Gott gesandt,
  12. Den giftgefüllten Becher!
  13. Dich trifft die Rache nicht allein!
  14. Auch Warthfils harret Höllenpein,
  15. Der treulos dich verlassen?
  16. Ha! siehst du nicht die Furien
  17. Mit Geißeln, die den Schändlichen
  18. An Nacken wütend fassen!
  19. Der Falsche! – Ach! wie liebt‘ ich ihn!
  20. Gab ihm der Unschuld Blüte hin
  21. Mit zärtlichen Bedauern!
  22. Zertreten ist die Blume nun!
  23. Der sie zertrat, er floh davon
  24. Auf neuen Raub zu lauern!
  25. Magst buhlen auch in fernem Land,
  26. Verräter! wirst du doch der Hand
  27. Des Richters nicht entfliehen!
  28. In Stunden süßer Taumellust
  29. Wirst fühlen in der bangen Brust
  30. Die ganze Hölle glühen!
  31. In jedem Traum mit Angst erfüllt
  32. Wird mein und meines Kindes Bild
  33. Dir vor den Blicken schweben!
  34. Wirst hören meinen Fluch – wirst sehn
  35. Bluttropfen den Getöteten
  36. An Stirn‘ und Wange kleben!
  37. Will stehn am Lager Nächte lang
  38. Und dir in stürmendem Gesang
  39. Des Meineids Strafe singen!
  40. Wie Donner soll ein jeder Schwur,
  41. Von Gott gehört und der Natur,
  42. In deine Ohren dringen! –
  43. Ach wehe! da ich fluche dir,
  44. Grausamer Vater! seh‘ ich hier
  45. Dein Kind zu meinen Füßen!
  46. Ich sehe noch um seinen Mund,
  47. Entstellt von Todesbläss‘ und Wund‘,
  48. Ein süßes Lächeln fließen!
  49. Weg Leichnam! – dein gebrochner Blick,
  50. Dein totes Lächeln heischt zurück
  51. Von mir, von mir dein Leben!
  52. Wollt‘ schmachten Jahre lang in Pein,
  53. Ein Scheusal unter Menschen sein;
  54. Könnt‘ ich dir’s wieder geben!
  55. So mordet dann mich Mörderin!
  56. Nimmt all mein Blut mein Leben hin!
  57. Was weil‘ ich auf der Erde,
  58. Wo meinen Blicken überall
  59. Mein Kind erscheint in Todesqual
  60. Mit blutiger Gebärde!
  61. Straf Richter du und Rächer mich!
  62. Erbarme mein, Erbarmer, dich!
  63. O schon der Hoffnungslosen
  64. Verlaßnen Mutter! – Ewig nicht
  65. Verwirf von deinem Angesicht,
  66. Die Kindesblut vergossen!
Seltha, die Kindermörderin von Gotthold Friedrich Stäudlin wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/staeudlin/seltha-die-kindermoerderin/