- Wie jeden Tag durch die zwanzig Jahr,
- die er dient in seinem Büro,
- steht er auf, streicht mit den Fingern durchs Haar,
- wärmt Kaffee sich auf dem Rechaud,
- wäscht Händ und Gesicht, fährt rasch in den Rock,
- (nur im Amt nicht unpünktlich sein!)
- streicht sich sein Brot, nimmt Hut und Stock
- und läßt sein Zimmer allein.
- Um die Groschen für die Straßenbahn
- krampft er wichtig die Hand,
- eh er hält beim Tor einen Augenblick an,
- um zu schaun nach dem Wetterstand,
- geht ein wenig müd, denn er schläft nicht gut,
- bis zur Straßenbahn die paar Schritt;
- mit Gesichtern, ihm vertraut wie sein Hut,
- fährt er verdrossen mit.
- Vor dem Amtshaus zupft er an Kragen und Rock,
- verhält sich, ein weniges nur,
- und vor seinem Schreibtisch im dritten Stock
- sitzt er punkt acht Uhr.
- Er nimmt seine lausigen Akten vor,
- schreibt „zufolge“ und „auftragsgemäß“,
- macht Pause punkt zehn, und die Feder am Ohr,
- ißt er sein Brot indes.
- Dann schreibt er wieder „indem“ und „hieraus“,
- bis Zeit ist zum Mittagstisch.
- Die Gemeinschaftsküche ist gleich im Haus,
- und es stinkt nach Rüben und Fisch –
- Er würgt am Schreibtisch den Fraß wie ein Mann,
- der Zuhause Besseres hat.
- Dann raucht er sich eine Pfeife an
- und gibt der Verdauung statt.
- Er leiht sich dazu eine Zeitung aus
- vom nächsten Kollegen und liest,
- daß eine Dame aus gräflichem Haus
- eines Knaben genesen ist.
- Dann schreibt er von neuem „mithin“ und „anbei“,
- ganz pflicht- und schweigenumweht,
- und endlich ist es auch heute drei,
- und er nimmt seinen Hut und geht.
- Die Sonne scheint blank, also fährt er nicht
- wie sonst auf der Straßenbahn.
- Er schlendert langsam, mit stillem Gesicht,
- sieht sich die Schaufenster an,
- weicht ängstlich einem Betrunkenen aus
- und staunt nur: Gibt es das auch?
- Schaut ihm kopfschüttelnd nach, bis ans letzte Haus,
- und spürt den Fuselhauch.
- Er sieht den Mädchen scheu nach der Brust
- und denkt: Ist nichts für mich.
- Lang ist die Ehe und teuer die Lust..
- und spuckt und räuspert sich.
- Jetzt kommt der Uhrmacherladen am Eck.
- Hier verweilt er, wie manchen Tag.
- Und verschlingt mit dem Blick „seinen“ Ring, der am Fleck
- liegt, wo er immer lag.
- Er geht durch den Park, und die Lindenblüh
- duftet süß und schwül.
- Ein heller Tag aus der Kindheit früh
- steht auf einmal vor seinem Gefühl.
- Es zerstiebt gleich wieder. Er denkt der Schuld,
- die noch beim Schneider steht,
- wischt sich den Schweiß mit Ungeduld,
- schiebt den Hut ins Genick und geht.
- Zuhause empfangen die Wände ihn,
- wie er sie morgens verließ.
- Er muß die Kissen frisch überziehn,
- lüften, und jenes und dies.
- Der Staubwedel rührt mit leichtem Schwung
- an die Lautensaiten; der Klang
- weckt halb verwehte Erinnerung
- an die Zeit, wo er jung war und sang.
- Du mein Gott, die Jugendeseleien,
- die waren gründlich vorbei..
- Schnell holt er Eier und Wurstzeug ein
- und brät sich „Schinken mit Ei“.
- Er ißt aus der Pfanne (wer sieht es denn!)
- lang, schwelgend und ohne Gier
- und putzt nachher das Geschirr wieder schön
- mit vielem Zeitungspapier.
- Dann streicht er sich mehrmals über den Bauch,
- sein Leiblied kommt ihm zu Sinn:
- „Ja die alten Deutschen tranken ja auch – „
- und er brummt so halb vor sich hin,
- zieht die Uhr und schaut eine Zeit an die Wand,
- denn die Zeit läuft schrecklich leer,
- wenn kein Ding und Tun die Minute bannt
- und kein Mensch ist um einen her –
- und räkelt sich und zählt zweimal sein Geld:
- Der Stammtisch wartet schon.
- Dort ist das Leben, dort ist die Welt,
- dort verebbt der Tag und die Fron.
- Er genießt seine üblichen drei Achtel Wein
- wie ein Bürger: gehalten, adrett.
- Und fällt mit einem Seufzer klein
- punkt zehn in sein einsames Bett.
Ballade vom kleinen Mann
… eine Ballade von Josef WeinheberBallade vom kleinen Mann von Josef Weinheber wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/weinheber/ballade-vom-kleinen-mann/
Quelle: https://balladen.net/weinheber/ballade-vom-kleinen-mann/