- Und als wir gingen von dem toten Hund,
- Von dessen Zähnen mild der Herr gesprochen,
- Entführte er uns diesem Meeres-Sund
- Den Berg empor, auf dem wir keuchend krochen.
- Und wie der Herr zuerst den Gipfel trat,
- Und wir schon standen auf den letzten Sprossen,
- Verwies er uns zu Füßen Pfad an Pfad,
- Und Wege, die im Sturm zur Fläche schössen.
- Doch einer war, den jeder sanft erfand,
- Und leiser jeder sah zu Tale fließen.
- Und wie der Heiland süß sich umgewandt,
- Da riefen wir und schrieen: Wähle diesen!
- Er neigte nur das Haupt und ging voran,
- Indes wir uns verzückten, daß wir lebten,
- Von Luft berührt, die Grün in Grün zerrann,
- Von Öl und Mandel, die vorüberschwebten.
- Doch plötzlich bäumte sich vor unserem Lauf
- Zerfreßne Mauer und ein Tor inmitten.
- Der Heiland stieß die dunkle Pforte auf,
- Und wartete bis wir hindurchgeschritten.
- Und da geschah, was uns die Augen schloß,
- Was uns wie Stämme auf die Stelle pflanzte,
- Denn greulich vor uns, wildverschlungen floß
- Ein Strom von Aas, auf dem die Sonne tanzte.
- Verbissene Ratten schwammen im Gezücht
- Von Schlangen, halb von Schärfe aufgefressen,
- Verweste Reh‘ und Esel und ein Licht
- Von Pest und Fliegen drüber unermessen.
- Ein schweflig Stinken und so ohne Maß
- Aufbrodelte aus den verruchten Lachen,
- Daß wir uns beugten übers gelbe Gras
- Und uns vor uferloser Angst erbrachen.
- Der Heiland aber hob sich auf und schrie
- Und schrie zum Himmel, rasend ohne Ende:
- »Mein Gott und Vater, höre mich und wende
- Dies Grauen von mir und begnade die!
- Ich nannt‘ mich Liebe und nun packt mich auch
- Dies Würgen vor dem scheußlichsten Gesetze.
- Ach, ich bin eitler als die kleinste Metze
- Und schnöder bin ich als der letzte Gauch!
- Mein Vater du, so du mein Vater bist,
- Laß mich doch lieben dies verweste Wesen,
- Laß mich im Aase dein Erbarmen lesen!
- Ist das denn Liebe, wo noch Ekel ist?!«
- Und siehe! Plötzlich brauste sein Gesicht
- Von jenen Jagden, die wir alle kannten,
- Und daß wir uns geblendet seitwärts wandten,
- Verfing sich seinem Scheitel Licht um Licht!
- Er neigte wild sich nieder und vergrub
- Die Hände ins verderbliche Geziefer,
- Und ach, von Rosen ein Geruch, ein tiefer,
- Von seiner Weiße sich erhub.
- Er aber füllte seine Haare aus
- Mit kleinem Aas und kränzte sich mit Schleichen,
- Aus seinem Gürtel hingen hundert Leichen,
- Von seiner Schulter Ratt‘ und Fledermaus.
- Und wie er so im dunkeln Tage stand,
- Brachen die Berge auf und Löwen weinten
- An seinem Knie, und die zum Flug vereinten
- Wildgänse brausten nieder unverwandt.
- Vier dunkle Sonnen tanzten lind,
- Ein breiter Strahl war da, der nicht versiegte.
- Der Himmel barst. – Und Gottes Taube wiegte
- Begeistert sich im blauen Riesen-Wind.
Jesus und der Äser-Weg
… eine Ballade von Franz WerfelJesus und der Äser-Weg von Franz Werfel wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/werfel/jesus-und-der-aeser-weg/
Quelle: https://balladen.net/werfel/jesus-und-der-aeser-weg/