Die Weiber von Weinsberg

eine Ballade von Adelbert von Chamisso
  1. Der erste Hohenstaufe, der König Konrad, lag
  2. Mit Heeresmacht vor Weinsberg seit manchem langen Tag.
  3. Der Welfe war geschlagen, noch wehrte sich das Nest,
  4. Die unverzagten Städter, die hielten es noch fest.
  5. Der Hunger kam, der Hunger! Das ist ein scharfer Dorn.
  6. Nun suchten sie die Gnade, nun fanden sie den Zorn:
  7. „Ihr habt mir hier erschlagen gar manchen Degen wert,
  8. Und öffnet ihr die Tore, so trifft euch doch das Schwert!“
  9. Da sind die Weiber kommen: „Und muss es also sein,
  10. Gewährt uns freien Abzug, wir sind vom Blute rein!“
  11. Da hat sich vor den Armen des Helden Zorn gekühlt.
  12. Da hat ein sanft Erbarmen im Herzen er gefühlt.
  13. „Die Weiber mögen abziehn, und jede habe frei,
  14. Was sie vermag zu tragen und ihr das Liebste sei;
  15. Lasst ziehn mit ihrer Bürde sie ungehindert fort!
  16. Das ist des Königs Meinung, das ist des Königs Wort.“
  17. Und als der frühe Morgen im Osten kaum gegraut,
  18. Da hat ein seltnes Schauspiel vom Lager man geschaut;
  19. Es öffnet leise, leise sich das bedrängte Tor,
  20. Es schwankt ein Zug von Weibern mit schwerem Schritt hervor.
  21. Tief beugt die Last sie nieder, die auf dem Nacken ruht,
  22. Sie tragen ihre Eh’herrn, das ist ihr liebstes Gut.
  23. „Halt an die argen Weiber!“ ruft drohend mancher Wicht;
  24. Der Kanzler spricht bedeutsam: „Das war die Meinung nicht!“
  25. Da hat, wie er’s vernommen, der fromme Herr gelacht:
  26. „Und war es nicht die Meinung, sie haben’s gut gemacht!
  27. Gesprochen ist gesprochen, das Königswort besteht,
  28. Und zwar von keinem Kanzler zerdeutelt und zerdreht.“

Hintergrund

Die Weiber von Weinsberg ist eine Ballade von Adelbert von Chamisso und entstand 1831 und somit zur Zeit des Vormärz. Die Ballade erzählt von einer Geschichte, die in der Literatur von vielen Dichtern aufgegriffen wurde: die Weibertreubegebenheit.

Denn tatsächlich erzählt die Ballade von einer wahren Begebenheit. Hierbei wird auf die Belagerung der Burg Weinsberg durch Konrad III. am 21. Dezember 1140 angespielt. Der siegreiche Konrad versprach, dass alle Frauen unbeschadet die Burg verlassen dürften und gab die Erlaubnis, dass jede von ihnen das forttragen dürfte, was sie auf ihren Schultern tragen konnte. Auf die Männer wartete der Tod. Die Frauen nahmen den König beim Wort und trugen ihre Männer auf dem Rücken hinab, denen sie so das Leben retteten, da der König sein Versprechen hielt.

Die Begebenheit wurde nicht nur von Chamisso in einer Ballade verarbeitet. Auch Justinus Kerner und Gottfried August Bürger näherten sich der Geschichte durch dieses Genre. So finden wir die Geschichte im gleichnahmigen Text von Bürger sowie in Kerners Weinsberger Weiberlist.
Die Weiber von Weinsberg von Adelbert von Chamisso wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/chamisso/die-weiber-von-weinsberg/