„Und alles ohne Liebe“

eine Ballade von Theodor Fontane
  1. Die Mutter spricht: „lieb Else mein,
  2. Wozu dies Grämen und Härmen?
  3. Man lebt sich in einander ein,
  4. Auch ohne viel zu schwärmen;
  5. Wie manche nahm schon ihren Mann,
  6. Daß sie nicht sitzen bliebe,
  7. Und dünkte sich im Himmel dann
  8. Und – alles ohne Liebe.“
  9. Jung-Else hört’s. Sie schloß das Band,
  10. Das ewge, am Altare,
  11. Und lächelnd nahm des Gatten Hand
  12. Den Kranz aus ihrem Haare;
  13. Ihr war’s, als ob ein glühend Roth
  14. Sich auf die Stirn ihr schriebe,
  15. Sie gab ihr Alles, nach Gebot,
  16. Und – alles ohne Liebe.
  17. Der Mann ist schlecht; er liebt das Spiel
  18. Und guten Trunk nicht minder,
  19. Sein Weib zu Hause weint zu viel
  20. Und ewig schrein die Kinder;
  21. Spät kommt er heim; er kost, er schlägt,
  22. Nachgiebig jedem Triebe,
  23. Sie trägt’s wie nur die Liebe trägt
  24. Und – alles ohne Liebe.
  25. Sie wünscht sich oft, es wär vorbei,
  26. Wenn nicht die Kinder wären,
  27. So aber sucht sie stets aufs neu
  28. Zum Guten es zu kehren,
  29. Sie schmeichelt ihm und ob er dann
  30. Auch kalt bei Seit sie schiebe,
  31. Sie nennt ihn „ihren liebsten Mann“
  32. Und – alles ohne Liebe.
„Und alles ohne Liebe“ von Theodor Fontane wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/fontane/und-alles-ohne-liebe/