Der Deserteur

… eine Ballade von Anastasius Grün
  1. Auf der Hauptwacht sitzt geschlossen
  2. Des Gebirges schlanker Sohn,
  3. Morgen frühe wird erschossen,
  4. Der dreimal der Fahn’ entflohn.

  5. Heute gönnten mit Erbarmen
  6. Sie ihm Wein und Prasserkost;
  7. Doch in seiner Mutter Armen
  8. Gibt und nimmt er letzten Trost:

  9. »Mutter, seht, die närr’schen Leute
  10. Heischten Treu’ und Eid mir ab,
  11. Die ich doch, und nicht erst heute,
  12. Meiner lieben Sennin gab!

  13. Soll mein Blut dem Fürsten geben,
  14. Mag wohl sein ein guter Mann;
  15. Doch er fordre nicht mein Leben!
  16. Was blieb’ euch, o Mutter, dann?

  17. Eures Hauptes Silberflocken,
  18. Acker schirmen, Hof und Haus
  19. Und der Liebsten goldne Locken,
  20. Füllt’s nicht schön ein Leben aus?

  21. Hoch von langen Stangen wallten
  22. Fetzen Tuchs, drauf sie recht fein
  23. Ein geflügelt Raubthier malten;
  24. Und da sollt’ ich hinterdrein!

  25. Dem Gevögel Adlern, Geiern,
  26. War ich doch mein Lebtag gram;
  27. Schoß manch einen, der zu euern
  28. Und der Liebsten Heerden kam!

  29. Ueber eine blanke Schachtel
  30. Spannten sie ein Eselsfell:
  31. Welch Gedröhn, statt Lerch’ und Wachtel,
  32. Die im Korn einst schlugen hell!

  33. Trommellärm trieb mich von dannen,
  34. Alphorn rief mich zu den Höhn,
  35. Wo die grünen, duft’gen Tannen,
  36. Meine echten Fahnen, wehn!

  37. Unserm Küster lauscht’ ich lieber
  38. Mit dem tapfern Fiedelstrich,
  39. Während vom Gebirg herüber
  40. Süß’rer Klang mein Ohr beschlich!

  41. In zweifarbig Tuch geschlagen,
  42. Knebelten mich Spang’ und Knopf,
  43. Einen Höcker sollt’ ich tragen
  44. Und als Hut solch schwarzen Topf!

  45. Besser läßt, das sieht doch Jeder,
  46. Mir der grüne Schützenrock,
  47. Auf dem Hut die Schildhahnfeder,
  48. Stutzen auch und Alpenstock!

  49. Wachtstehn sollt’ ich Nachts vor Zelten!
  50. Lullt mein Wachen sie in Ruh?
  51. Legt der Herr den mir geschmälten
  52. Schlummer wohl dem ihren zu?

  53. Besser als durch mich geborgen
  54. Stellt’ in Himmels Schutz ich sie;
  55. Und vor Liebchens Haus am Morgen
  56. Stand als Ehrenwacht ich früh.

  57. Morgen, wenn die Schüsse schüttern
  58. Mutter, denkt, daß fern von euch
  59. Im Gebirg bei Hochgewittern
  60. Mich erschlug ein Wetterstreich!

  61. Besser will mir’s so behagen!
  62. Kann doch auf den Lippen treu
  63. Euren, ihren Namen tragen,
  64. Wie der blüh’ndsten Rosen zwei!«

  65. Und der Morgen stieg zur Erde;
  66. Unter laub’gem Blüthenbaum
  67. Ruht die Sennin; ihre Heerde
  68. Weidet rings am Bergessaum.

  69. Horch! Im Thalgrund Büchsenknalle,
  70. Daß, aus seinem Morgentraum
  71. Aufgeschreckt vom rauhen Halle,
  72. Bang und zitternd lauscht der Baum!

  73. Aus der Krone losgerüttelt
  74. Taumeln Blüthenflocken hin,
  75. Tropfen Thau’s, wie Thränen, schüttelt
  76. Er aufs Haupt der Sennerin!

  77. Und entsunken sind zur Stunde
  78. In dem Thale, grün und frei,
  79. Einem rothen Jünglingsmunde
  80. Wohl der blüh’ndsten Rosen zwei.
Der Deserteur von Anastasius Grün wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/gruen/der-deserteur/