Die Spinnerin

eine Ballade von Johann Wolfgang von Goethe
  1. Als ich still und ruhig spann,
  2. Ohne nur zu stocken,
  3. Trat ein schöner junger Mann
  4. Nahe mir zum Rocken.
  5. Lobte, was zu loben war,
  6. Sollte das was schaden?
  7. Mein dem Flachse gleiches Haar
  8. Und den gleichen Faden.
  9. Ruhig war er nicht dabei,
  10. Ließ es nicht beim alten;
  11. Und der Faden riß entzwei,
  12. Den ich lang‘ erhalten.
  13. Und des Flachses Steingewicht
  14. Gab noch viele Zahlen;
  15. Aber ach, ich konnte nicht
  16. Mehr mit ihnen prahlen.
  17. Als ich sie zum Weber trug,
  18. Fühlt ich was sich regen,
  19. Und mein armes Herze schlug
  20. Mit geschwindern Schlagen.
  21. Nun, beim heißen Sonnenstich,
  22. Bring ich’s auf die Bleiche,
  23. Und mit Mühe bück ich mich
  24. Nach dem nächsten Teiche.
  25. Was ich in dem Kämmerlein
  26. Still und fein gesponnen,
  27. Kommt – wie kann es anders sein? –
  28. Endlich an die Sonnen.
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Quelle: https://balladen.net/goethe/die-spinnerin/