Der heilige Wein

… eine Ballade von Friedrich Hebbel
  1. Es schlichen zwei schlimme Gesellen
  2. sich in die Kapelle hinein:
  3. in Kannen, in goldnen, geweihten,
  4. stand dort der heilige Wein.

  5. Da spricht der eine mit Lachen
  6. zum andern in sündigem Mut:
  7. „Komm, willst du dich mit mir berauschen
  8. in Christi eigenem Blut?“

  9. Der andere greift nach der Kanne
  10. und setzt sie flugs an den Mund;
  11. sie trinken und trinken und trinken,
  12. doch kommen sie nicht auf den Grund.

  13. Sie trinken und trinken und trinken
  14. und treiben viel frostigen Scherz,
  15. doch steigt keine Glut auf die Wangen,
  16. doch flammt keine Lust durch das Herz.

  17. Sie trinken und trinken und trinken,
  18. die Kanne bleibt voll, wie sie war,
  19. da packt sie ein innersten Grausen,
  20. sie stürzen hin zum Altar.

  21. Sie rufen: „Er blutet aufs neue,
  22. wer stillt des Blutes Lauf!
  23. Er zeigt uns die offenen Wunden,
  24. o weh uns, wir rissen sie auf!“

  25. Nun schauen sie ewig den Heiland,
  26. ein blasses, blutendes Bild;
  27. er blickt sie an, nicht finster,
  28. ach, so unendlich mild“
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Quelle: https://balladen.net/hebbel/der-heilige-wein/