Die Fei

eine Ballade von Conrad Ferdinand Meyer
  1. Mondnacht und Flut. Sie hangt am Kiel,
  2. Umklammert mit den Armen ihn,
  3. Sie treibt ein grausam lüstern Spiel,
  4. Den Nachen in den Grund zu ziehn.
  5. Der Ferge stöhnt:„In Seegesträuch
  6. Reißt nieder uns der blanke Leib!
  7. Rasch, Herr! Von Sünden reinigt Euch,
  8. Begehrt Ihr heim zu Kind und Weib!“
  9. Der Ritter hält den Schwertesgriff
  10. Sich als das heil’ge Zeichen vor –
  11. Aus dunkeln Haaren lauscht am Schiff
  12. Ein schmerzlich bleiches Haupt empor.
  13. „Herr Christ! Ich beichte Ritterthat,
  14. Streit, Flammenschein und strömend Blut,
  15. Doch nichts von Frevel noch Verrat,
  16. Denn Treu und Glauben hielt ich gut.“
  17. Er küßt das Kreuz. Gell schreit die Fee!
  18. Auflangen sieht er eine Hand
  19. Am Steuer, blendend weiß wie Schnee,
  20. Und starrt darauf, von Graun gebannt.
  21. „Herr Christ! Ich beichte Missethat!
  22. Ich brach den Glauben und die Treu,
  23. Ich übt’ an einem Lieb Verrat.
  24. Es starb. Ich thue Leid und Reu!“
  25. Sie löst die Arme. Sie versinkt.
  26. Das Ruder schlägt. Der Nachen fliegt.
  27. Vom Strand das Licht des Erkers winkt,
  28. Wo Weib und Kind ihm schlummernd liegt.
Die Fei von Conrad Ferdinand Meyer wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/meyer/die-fei/