Belsazar

eine Ballade von Heinrich Heine
  1. Die Mitternacht zog näher schon;
  2. In stummer Ruh lag Babylon.
  3. Nur oben in des Königs Schloss,
  4. Da flackert’s, da lärmt des Königs Tross.
  5. Dort oben in dem Königssaal
  6. Belsazar hielt sein Königsmahl.
  7. Die Knechte saßen in schimmernden Reihn
  8. Und leerten die Becher mit funkelndem Wein.
  9. Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht;
  10. So klang es dem störrigen Könige recht.
  11. Des Königs Wangen leuchten Glut;
  12. Im Wein erwuchs ihm kecker Mut.
  13. Und blindlings reißt der Mut ihn fort;
  14. Und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort.
  15. Und er brüstet sich frech, und lästert wild;
  16. Der Knechtenschar ihm Beifall brüllt.
  17. Der König rief mit stolzem Blick;
  18. Der Diener eilt und kehrt zurück.
  19. Er trug viel gülden Gerät auf dem Haupt;
  20. Das war aus dem Tempel Jehovahs geraubt.
  21. Und der König ergriff mit frevler Hand
  22. Einen heiligen Becher, gefüllt bis am Rand.
  23. Und er leert ihn hastig bis auf den Grund
  24. Und rufet laut mit schäumendem Mund:
  25. „Jehovah! dir künd ich auf ewig Hohn –
  26. Ich bin der König von Babylon!“
  27. Doch kaum das grause Wort verklang,
  28. Dem König ward’s heimlich im Busen bang.
  29. Das gellende Lachen verstummte zumal;
  30. Es wurde leichenstill im Saal.
  31. Und sieh! und sieh! an weißer Wand
  32. Da kam’s hervor wie Menschenhand;
  33. Und schrieb, und schrieb an weißer Wand
  34. Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.
  35. Der König stieren Blicks da saß,
  36. Mit schlotternden Knien und totenblass.
  37. Die Knechtenschar saß kalt durchgraut,
  38. Und saß gar still, gab keinen Laut.
  39. Die Magier kamen, doch keiner verstand
  40. Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.
  41. Belsazar ward aber in selbiger Nacht
  42. Von seinen Knechten umgebracht.
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Quelle: https://balladen.net/heine/belsazar/