Die Füße im Feuer

eine Ballade von Conrad Ferdinand Meyer
  1. Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm.
  2. Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Roß,
  3. Springt ab und pocht ans Tor und lärmt. Sein Mantel saust
  4. Im Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest.
  5. Ein schmales Gitterfenster schimmert goldenhell
  6. Und knarrend öffnet jetzt das Tor ein Edelmann…
  7. – »Ich bin ein Knecht des Königs, als Kurier geschickt
  8. Nach Nîmes. Herbergt mich! Ihr kennt des Königs Rock!«
  9. – »Es stürmt. Mein Gast bist du. Dein Kleid, was kümmert’s mich?
  10. Tritt ein und wärme dich! Ich sorge für dein Tier!«
  11. Der Reiter tritt in einen dunkeln Ahnensaal,
  12. Von eines weiten Herdes Feuer schwach erhellt,
  13. Und je nach seines Flackerns launenhaftem Licht
  14. Droht hier ein Hugenott im Harnisch, dort ein Weib,
  15. Ein stolzes Edelweib aus braunem Ahnenbild…
  16. Der Reiter wirft sich in den Sessel vor dem Herd
  17. Und starrt in den lebend’gen Brand. Er brütet, gafft…
  18. Leis sträubt sich ihm das Haar. Er kennt den Herd, den Saal…
  19. Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut.
  20. Den Abendtisch bestellt die greise Schaffnerin
  21. Mit Linnen blendend weiß. Das Edelmägdlein hilft.
  22. Ein Knabe trug den Krug mit Wein. Der Kinder Blick
  23. Hangt schreckensstarr am Gast und hangt am Herd entsetzt…
  24. Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut.
  25. – »Verdammt! Dasselbe Wappen! Dieser selbe Saal!
  26. Drei Jahre sind’s… Auf einer Hugenottenjagd…
  27. Ein fein, halsstarrig Weib… „Wo steckt der Junker? Sprich!“
  28. Sie schweigt. „Bekenn!“ Sie schweigt. „Gib ihn heraus!“ Sie schweigt
  29. Ich werde wild. Der Stolz! Ich zerre das Geschöpf…
  30. Die nackten Füße pack ich ihr und strecke sie
  31. Tief mitten in die Glut.. „Gib ihn heraus!“.. Sie schweigt…
  32. Sie windet sich… Sahst du das Wappen nicht am Tor?
  33. Wer hieß dich hier zu Gaste gehen, dummer Narr?
  34. Hat er nur einen Tropfen Bluts, erwürgt er dich.«
  35. Eintritt der Edelmann. »Du träumst! Zu Tische, Gast…
  36. Da sitzen sie. Die drei in ihrer schwarzen Tracht
  37. Und er. Doch keins der Kinder spricht das Tischgebet.
  38. Ihn starren sie mit aufgerißnen Augen an-
  39. Den Becher füllt und übergießt er, stürzt den Trunk,
  40. Springt auf: »Herr, gebet jetzt mir meine Lagerstatt!
  41. Müd bin ich wie ein Hund!« Ein Diener leuchtet ihm,
  42. Doch auf der Schwelle wirft er einen Blick zurück
  43. Und sieht den Knaben flüstern in des Vaters Ohr…
  44. Dem Diener folgt er taumelnd in das Turmgemach.
  45. Fest riegelt er die Tür. Er prüft Pistol und Schwert.
  46. Gell pfeift der Sturm. Die Diele bebt. Die Decke stöhnt.
  47. Die Treppe kracht… Dröhnt hier ein Tritt?… Schleicht dort ein Schritt?…
  48. Ihn täuscht das Ohr. Vorüberwandelt Mitternacht.
  49. Auf seinen Lidern lastet Blei und schlummernd sinkt
  50. Er auf das Lager. Draußen plätschert Regenflut.
  51. Er träumt. »Gesteh!« Sie schweigt. »Gib ihn heraus!« Sie schweigt.
  52. Er zerrt das Weib. Zwei Füße zucken in der Glut.
  53. Aufsprüht und zischt ein Feuermeer, das ihn verschlingt…
  54. – »Erwach! Du solltest längst von hinnen sein! Es tagt!«
  55. Durch die Tapetentür in das Gemach gelangt,
  56. Vor seinem Lager steht des Schlosses Herr – ergraut,
  57. Dem gestern dunkelbraun sich noch gekraust das Haar.
  58. Sie reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt sich heut.
  59. Zersplittert liegen Ästetrümmer quer im Pfad.
  60. Die frühsten Vöglein zwitschern, halb im Traume noch.
  61. Friedsel’ge Wolken schwimmen durch die klare Luft,
  62. Als kehrten Engel heim von einer nächt’gen Wacht.
  63. Die dunkeln Schollen atmen kräft’gen Erdgeruch.
  64. Die Ebne öffnet sich. Im Felde geht ein Pflug.
  65. Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln: »Herr,
  66. Ihr seid ein kluger Mann und voll Besonnenheit
  67. Und wißt, daß ich dem größten König eigen bin.
  68. Lebt wohl. Auf Nimmerwiedersehn!« Der andre spricht:
  69. »Du sagst’s! Dem größten König eigen! Heute ward
  70. Sein Dienst mir schwer.. Gemordet hast du teuflisch mir
  71. Mein Weib! Und lebst!… Mein ist die Rache, redet Gott.«
Die Füße im Feuer von Conrad Ferdinand Meyer wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/meyer/die-fuesse-im-feuer/