Die Gründung Karthagos

eine Ballade von August von Platen
  1. Vor der Goldbegier des Bruders,
  2. Der nach ihren Schätzen schnaubt,
  3. Der in ihres Gatten Busen
  4. Sein verruchtes Schwert getaucht,
  5. Flieht hinweg die schöne Dido
  6. Aus sidonischen Heimataun,
  7. Nimmt mit sich gehäufte Schätze,
  8. Nimmt mit sich des Gatten Staub,
  9. Dem gelobt sie stäte Treue,
  10. Wie es ziemt den höchsten Fraun;
  11. Denn der wahren Witwe Liebe
  12. Gleicht dem Lieben einer Braut.
  13. Edle folgen ihr und Knechte,
  14. Als sie löst den Ankertau,
  15. Segeln auf den hohen Schiffen
  16. Durch das tiefe Wogenblau,
  17. Bis an afrikanischer Küste
  18. Landen alle voll Vertraun.
  19. Dido läßt an sichrer Felsbucht
  20. Mächtig eine Stadt erbaun:
  21. Axt an Axt erklingt am Ufer,
  22. Stein um Stein wird ausgehaun.
  23. Bald beschirmen stolze Mauern
  24. Tempel, Hafen, Hütt und Haus;
  25. Drauf als Königin beherrschte
  26. Dido diesen stolzen Raum.
  27. Doch der Ruf von ihrer Schönheit
  28. Breitet seine Flügel aus:
  29. König Jarbas wohnt benachbart,
  30. Tapferer Männer Oberhaupt;
  31. Dieser bietet seine Hand ihr,
  32. Ja die Drohung macht er laut:
  33. Wenn die Königin sich weigert
  34. Meiner Kraft sich anzutraun,
  35. Wehe jener Stadt, sie möchte
  36. Dann verschwinden wie ein Traum!
  37. Zitternd hört es ganz Karthago,
  38. Weil er mächtig überaus,
  39. Und des Volks ergraute Väter
  40. Treten vor der Fürstin auf,
  41. Flehn sie, jenen Bund zu schließen,
  42. Hinzugeben nicht dem Raub
  43. Diese Laren, diese Tempel,
  44. Die sie liebend selbst gebaut!
  45. Aber ihr im tiefen Busen
  46. Steigt ein böser Geist herauf,
  47. Ob sie freveln soll am Gatten,
  48. Ob sie, jeder Bitte taub,
  49. Freveln soll an ihrem Volke,
  50. Das an ihre Liebe Glaubt?
  51. Doch in einer solchen Seele
  52. Ist ein Zweifel wie ein Hauch:
  53. Nur das Große kann sie denken,
  54. Nur das Große führt sie aus.
  55. Einen Holzstoß, wie zum Opfer,
  56. Läßt die Königin erbaun,
  57. Läßt um ihn das Volk versammeln,
  58. Tritt hervor und steigt hinauf:
  59. Lebe wohl, o mein Karthago,
  60. Nicht die Feinde sollst du schaun,
  61. Blühn empor in goldner Freiheit,
  62. Nicht vergehn in Schutt und Graus:
  63. O Sichäus, breite deine
  64. Schattenarme nach mir aus!
  65. Diese hohen Worte sprechend
  66. Faßt ein Schwert sie ohne Graun,
  67. Stößt es durch den schönsten Busen,
  68. Den die Sonne durfte schaun.
  69. Und im Aschenkrug gesammelt
  70. Ward sofort der edle Staub,
  71. Ward im Tempel selbst bestattet,
  72. Ward bekränzt mit Siegeslaub.
  73. König Jarbas zog von dannen,
  74. Störte nicht Karthagos Bau:
  75. Jenen seegewaltigen Freistaat
  76. Gründete so die größte Frau.
Die Gründung Karthagos von August von Platen wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/platen/die-gruendung-karthagos/