Das Gewitter

eine Ballade von Gustav Schwab
  1. Urahne, Großmutter, Mutter und Kind,
  2. In dumpfer Stube beisammen sind;
  3. Es spielet das Kind, die Mutter sich schmückt,
  4. Großmutter spinnet, Urahne gebückt
  5. Sitzt hinter dem Ofen im Pfühl –
  6. Wie wehen die Lüfte so schwül!
  7. Das Kind spricht: „Morgen ist’s Feiertag,
  8. Wie will ich spielen im grünen Hag,
  9. Wie will ich springen durch Thal und Höh’n,
  10. Wie will ich pflücken viel Blumen schön;
  11. Dem Anger, dem bin ich hold!“ –
  12. Hört ihr’s, wie der Donner grollt?
  13. Die Mutter spricht: „Morgen ist’s Feiertag,
  14. Da halten wir alle fröhlich Gelag,
  15. Ich selber, ich rüste mein Feierkleid;
  16. Das Leben es hat auch Lust nach Leid,
  17. Dann scheint die Sonne wie Gold!“ –
  18. Hört ihr’s, wie der Donner grollt?
  19. Großmutter spricht: „Morgen ist’s Feiertag,
  20. Großmutter hat keinen Feiertag,
  21. Sie kochet das Mahl, sie spinnet das Kleid,
  22. Das Leben ist Sorg’ und viel Arbeit;
  23. Wohl dem, der that, was er sollt’!“ –
  24. Hört ihr’s, wie der Donner grollt?
  25. Urahne spricht: „Morgen ist’s Feiertag,
  26. Am liebsten morgen ich sterben mag:
  27. Ich kann nicht singen und scherzen mehr,
  28. Ich kann nicht sorgen und schaffen schwer,
  29. Was thu’ ich noch auf der Welt?“ –
  30. Seht ihr, wie der Blitz dort fällt?
  31. Sie hören’s nicht, sie sehen’s nicht,
  32. Es flammet die Stube wie lauter Licht:
  33. Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
  34. Vom Strahl miteinander getroffen sind,
  35. Vier Leben endet ein Schlag –
  36. Und morgen ist’s Feiertag.
Das Gewitter von Gustav Schwab wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/schwab/das-gewitter/