Das Postmaidlein

eine Ballade von Carl Spitteler
  1. Stapft ein Maidlein auf die Lützelalp,
  2. Flink und frei und sauber allenthalb.
  3. Bar der Scheitel, Füß und Waden nackt
  4. Und die Ärmchen mit der Post bepackt.
  5. Senngehöfte lehnten ihrer drei
  6. An der Halde in derselben Reih.
  7. Furchtsam hielt sie an der ersten Tür,
  8. Kramt ein Brieflein ordentlich herfür.
  9. Schritt zum zweiten Gaden alsodann,
  10. Bracht ein sattes Päckchen an den Mann.
  11. Endlich drüben bei dem dritten Haus
  12. Langte sie ein Telegramm heraus.
  13. Hüpfte dann und jauchzt ein dutzendmal,
  14. Lief mit lustgen Sprüngen heim zu Tal.
  15. Gab den Beutel ab im Postkontor,
  16. Schloff zu Bett und legte sich aufs Ohr.
  17. Aber oben in der Alpennacht
  18. Ward bei Licht die ganze Nacht gewacht.
  19. Aus dem hintersten der Weiler drei
  20. Klagte Jammerruf und Wehgeschrei.
  21. In dem mittleren war Mordio im Schwang.
  22. Aus dem ersten becherte Gesang.
  23. Maidlein mit dem Kinderangesicht,
  24. Sag, was hast dort oben angericht’t?
  25. Säh mans auch den nichtigen Händlein an,
  26. Daß dir Fluch und Segen klebt daran?
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Quelle: https://balladen.net/spitteler/das-postmaidlein/