- Als ich einst bei Salamanka
- Früh in einem Garten saß
- Und bei’m Schlag der Nachtigallen
- Emsig im Homerus las:
- Wie in glänzenden Gewanden
- Helena zur Zinne trat
- Und so herrlich sich erzeigte
- Dem trojanischen Senat,
- Daß vernehmlich Der und Jener
- Brummt’ in seinen grauen Bart:
- „Solch ein Weib ward nie gesehen
- Traun, sie ist von Götterart!“
- Als ich so mich ganz vertiefet,
- Wußt’ ich nicht, wie mir geschah:
- In die Blätter fuhr ein Wehen,
- Daß ich staunend um mich sah.
- Auf benachbartem Balkone,
- Welch ein Wunder schaut’ ich da!
- Dort in glänzenden Gewanden
- Stand ein Weib wie Helena,
- Und ein Graubart ihr zur Seite,
- Der so seltsam freundlich that,
- Daß ich schwören mocht’, er wäre
- Von der Troer hohem Rath.
- Doch ich selbst ward ein Achäer,
- Der ich nun seit jenem Tag
- Vor dem festen Gartenhause,
- Einer neuen Troja, lag.
- Um es unverblümt zu sagen:
- Manche Sommerwoch’ entlang
- Kam ich dorthin jeden Abend
- Mit der Laut’ und mit Gesang,
- Klagt’ in manigfachen Weisen
- Meiner Liebe Qual und Drang,
- Bis zuletzt vom hohen Gitter
- Süße Antwort niederklang.
- Solches Spiel mit Wort und Tönen
- Trieben wir ein halbes Jahr,
- Und auch dies war nur vergönnet
- Weil halbtaub der Vormund war.
- Hub er gleich sich oft vom Lager,
- Schlaflos, eifersüchtig bang,
- Blieben doch ihm unsre Stimmen
- Ungehört, wie Sphärenklang.
- Aber einst, die Nacht war schaurig,
- Sternlos, finster wie das Grab,
- Klang auf das gewohnte Zeichen
- Keine Antwort mir herab.
- Nur ein alt zahnloses Fräulein
- Ward von meiner Stimme wach,
- Nur das alte Fräulein Echo
- Stöhnte meine Klagen nach.
- Meine Schöne war verschwunden,
- Leer die Zimmer, leer der Saal,
- Leer der blumenreiche Garten,
- Rings verödet Berg und Thal.
- Ach! und nie hatt’ ich erfahren
- Ihre Heimath, ihren Stand,
- Weil sie, Beides zu verschweigen,
- Angelobt mit Mund und Hand.
- Da beschloß ich, sie zu suchen,
- Nah und fern, auf irrer Fahrt,
- Den Homerus ließ ich liegen,
- Nun ich selbst Ulysses ward;
- Nahm die Laute zur Gefährtin
- Und vor jeglichem Altan,
- Unter jedem Gitterfenster
- Frag’ ich leis mit Tönen an,
- Sing’ in Stadt und Feld das Liedchen,
- Das im Salamanker Thal
- Jeden Abend ich gesungen
- Meiner Liebsten zum Signal;
- Doch die Antwort, die ersehnte,
- Tönet nimmermehr und ach!
- Nur das alte Fräulein Echo
- Reist zur Qual mir ewig nach.
Der Student
… eine Ballade von Ludwig UhlandDer Student von Ludwig Uhland wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/uhland/der-student/
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