- Der König Karl saß einst zu Tisch
- Zu Aachen mit den Fürsten,
- Man stellte Wildpret auf und Fisch
- Und ließ auch keinen dürsten.
- Viel Goldgeschirr von klarem Schein,
- Manch roten, grünen Edelstein
- Sah man im Saale leuchten.
- Da sprach Herr Karl, der starke Held:
- »Was soll der eitle Schimmer?
- Das beste Kleinod dieser Welt,
- Das fehlet uns noch immer.
- Dies Kleinod, hell wie Sonnenschein,
- Ein Riese trägt’s im Schilde sein,
- Tief im Ardennerwalde.«
- Graf Richard, Erzbischof Turpin,
- Herr Haimon, Naim von Bayern,
- Milon von Anglant, Graf Garin,
- Die wollten da nicht feiern.
- Sie haben Stahlgewand begehrt
- Und hießen satteln ihre Pferd,
- Zu reiten nach dem Riesen.
- Jung Roland, Sohn des Milon, sprach:
- »Lieb Vater! hört, ich bitte!
- Vermeint Ihr mich zu jung und schwach,
- Daß ich mit Riesen stritte,
- Doch bin ich nicht zu winzig mehr,
- Euch nachzutragen Euern Speer
- Samt Eurem guten Schilde.«
- Die sechs Genossen ritten bald
- Vereint nach den Ardennen,
- Doch als sie kamen in den Wald,
- Da täten sie sich trennen.
- Roland ritt hinterm Vater her;
- Wie wohl ihm war, des Helden Speer,
- Des Helden Schild zu tragen!
- Bei Sonnenschein und Mondenlicht
- Streiften die kühnen Degen,
- Doch fanden sie den Riesen nicht
- In Felsen noch Gehegen.
- Zur Mittagsstund am vierten Tag
- Der Herzog Milon schlafen lag
- In einer Eiche Schatten.
- Roland sah in der Ferne bald
- Ein Blitzen und ein Leuchten,
- Davon die Strahlen in dem Wald
- Die Hirsch und Reh aufscheuchten;
- Er sah, es kam von einem Schild,
- Den trug ein Riese, groß und wild,
- Vom Berge niedersteigend.
- Roland gedacht im Herzen sein:
- »Was ist das für ein Schrecken!
- Soll ich den lieben Vater mein
- Im besten Schlaf erwecken?
- Es wachet ja sein gutes Pferd,
- Es wacht sein Speer, sein Schild und Schwert,
- Es wacht Roland, der junge.«
- Roland das Schwert zur Seite band,
- Herrn Milons starkes Waffen,
- Die Lanze nahm er in die Hand
- Und tät den Schild aufraffen.
- Herrn Milons Roß bestieg er dann
- Und ritt erst sachte durch den Tann,
- Den Vater nicht zu wecken.
- Und als er kam zur Felsenwand,
- Da sprach der Ries mit Lachen:
- »Was will doch dieser kleine Fant
- Auf solchem Rosse machen?
- Sein Schwert ist zwier so lang als er,
- Vom Rosse zieht ihn schier der Speer,
- Der Schild will ihn erdrücken.«
- Jung Roland rief: »Wohlauf zum Streit!
- Dich reuet noch dein Necken.
- Hab ich die Tartsche lang und breit,
- Kann sie mich besser decken;
- Ein kleiner Mann, ein großes Pferd,
- Ein kurzer Arm, ein langes Schwert,
- Muß eins dem andern helfen.«
- Der Riese mit der Stange schlug,
- Auslangend in die Weite,
- Jung Roland schwenkte schnell genug
- Sein Roß noch auf die Seite.
- Die Lanz er auf den Riesen schwang,
- Doch von dem Wunderschilde sprang
- Auf Roland sie zurücke.
- Jung Roland nahm in großer Hast
- Das Schwert in beide Hände,
- Der Riese nach dem seinen faßt‘,
- Er war zu unbehende;
- Mit flinkem Hiebe schlug Roland
- Ihm unterm Schild die linke Hand,
- Daß Hand und Schild entrollten.
- Dem Riesen schwand der Mut dahin,
- Wie ihm der Schild entrissen,
- Das Kleinod, das ihm Kraft verliehn,
- Mußt er mit Schmerzen missen.
- Zwar lief er gleich dem Schilde nach,
- Doch Roland in das Knie ihn stach,
- Daß er zu Boden stürzte.
- Roland ihn bei den Haaren griff,
- Hieb ihm das Haupt herunter,
- Ein großer Strom von Blute lief
- Ins tiefe Tal hinunter;
- Und aus des Toten Schild hernach
- Roland das lichte Kleinod brach
- Und freute sich am Glanze.
- Dann barg er’s unterm Kleide gut
- Und ging zu einem Quelle,
- Da wusch er sich von Staub und Blut
- Gewand und Waffen helle.
- Zurücke ritt der jung Roland
- Dahin, wo er den Vater fand
- Noch schlafend bei der Eiche.
- Er legt‘ sich an des Vaters Seit,
- Vom Schlafe selbst bezwungen,
- Bis in der kühlen Abendzeit
- Herr Milon aufgesprungen:
- »Wach auf, wach auf, mein Sohn Roland!
- Nimm Schild und Lanze schnell zur Hand,
- Daß wir den Riesen suchen!«
- Sie stiegen auf und eilten sehr,
- Zu schweifen in der Wilde,
- Roland ritt hinterm Vater her
- Mit dessen Speer und Schilde.
- Sie kamen bald zu jener Stätt,
- Wo Roland jüngst gestritten hätt,
- Der Riese lag im Blute.
- Roland kaum seinen Augen glaubt‘,
- Als nicht mehr war zu schauen
- Die linke Hand, dazu das Haupt,
- So er ihm abgehauen,
- Nicht mehr des Riesen Schwert und Speer,
- Auch nicht sein Schild und Harnisch mehr,
- Nur Rumpf und blut’ge Glieder.
- Milon besah den großen Rumpf:
- »Was ist das für ’ne Leiche?
- Man sieht noch am zerhaunen Stumpf,
- Wie mächtig war die Eiche.
- Das ist der Riese! frag ich mehr?
- Verschlafen hab ich Sieg und Ehr,
- Drum muß ich ewig trauern.« –
- Zu Aachen vor dem Schlosse stund
- Der König Karl gar bange:
- »Sind meine Helden wohl gesund?
- Sie weilen allzu lange.
- Doch seh ich recht, auf Königswort!
- So reitet Herzog Haimon dort,
- Des Riesen Haupt am Speere.«
- Herr Haimon ritt in trübem Mut,
- Und mit gesenktem Spieße
- Legt‘ er das Haupt, besprengt mit Blut,
- Dem König vor die Füße:
- »Ich fand den Kopf im wilden Hag,
- Und fünfzig Schritte weiter lag
- Des Riesen Rumpf am Boden.«
- Bald auch der Erzbischof Turpin
- Den Riesenhandschuh brachte,
- Die ungefüge Hand noch drin,
- Er zog sie aus und lachte:
- »Das ist ein schön Reliquienstück,
- Ich bring es aus dem Wald zurück,
- Fand es schon zugehauen.«
- Der Herzog Naim von Bayerland
- Kam mit des Riesen Stange:
- »Schaut an, was ich im Walde fand!
- Ein Waffen, stark und lange.
- Wohl schwitz ich von dem schweren Druck;
- Hei! bayrisch Bier, ein guter Schluck,
- Sollt mir gar köstlich munden!«
- Graf Richard kam zu Fuß daher,
- Ging neben seinem Pferde,
- Das trug des Riesen schwere Wehr,
- Den Harnisch samt dem Schwerte:
- »Wer suchen will im wilden Tann,
- Manch Waffenstück noch finden kann,
- Ist mir zu viel gewesen.«
- Der Graf Garin tät ferne schon
- Den Schild des Riesen schwingen.
- »Der hat den Schild, des ist die Kron,
- Der wird das Kleinod bringen!«
- »Den Schild hab ich, ihr lieben Herrn!
- Das Kleinod hätt ich gar zu gern,
- Doch das ist ausgebrochen.«
- Zuletzt tät man Herrn Milon sehn,
- Der nach dem Schlosse lenkte,
- Er ließ das Rößlein langsam gehn,
- Das Haupt er traurig senkte.
- Roland ritt hinterm Vater her
- Und trug ihm seinen starken Speer
- Zusamt dem festen Schilde.
- Doch wie sie kamen vor das Schloß
- Und zu den Herrn geritten,
- Macht‘ er von Vaters Schilde los
- Den Zierat in der Mitten;
- Das Riesenkleinod setzt‘ er ein,
- Das gab so wunderklaren Schein
- Als wie die liebe Sonne.
- Und als nun diese helle Glut
- Im Schilde Milons brannte,
- Da rief der König frohgemut:
- »Heil Milon von Anglante!
- Der hat den Riesen übermannt,
- Ihm abgeschlagen Haupt und Hand,
- Das Kleinod ihm entrissen!«
- Herr Milon hatte sich gewandt,
- Sah staunend all die Helle:
- »Roland! sag an, du junger Fant!
- Wer gab dir das, Geselle?«
- »Um Gott, Herr Vater! zürnt mir nicht,
- Daß ich erschlug den groben Wicht,
- Derweil Ihr eben schliefet!«
Roland Schildträger
… eine Ballade von Ludwig UhlandRoland Schildträger von Ludwig Uhland wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/uhland/roland-schildtraeger/
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