- Normannenherzog Wilhelm sprach einmal:
- »Wer singet in meinem Hof und in meinem Saal?
- Wer singet vom Morgen bis in die späte Nacht,
- So lieblich, daß mir das Herz im Leibe lacht?«
- »Das ist der Taillefer, der so gerne singt
- Im Hofe, wann er das Rad am Bronnen schwingt,
- Im Saale, wann er das Feuer schüret und facht,
- Wann er abends sich legt und wann er morgens erwacht.«
- Der Herzog sprach: »Ich hab einen guten Knecht,
- Den Taillefer, der dienet mir fromm und recht,
- Er treibt mein Rad und schüret mein Feuer gut,
- Und singet so hell, das höhet mir den Mut.«
- Da sprach der Taillefer: »Und wär ich frei,
- Viel besser wollt ich dienen und singen dabei.
- Wie wollt ich dienen dem Herzog hoch zu Pferd!
- Wie wollt ich singen und klingen mit Schild und mit Schwert!«
- Nicht lange, so ritt der Taillefer ins Gefild
- Auf einem hohen Pferde, mit Schwert und mit Schild.
- Des Herzogs Schwester schaute vom Turm ins Feld,
- Sie sprach: »Dort reitet, bei Gott! ein stattlicher Held.«
- Und als er ritt vorüber an Fräuleins Turm,
- Da sang er bald wie ein Lüftlein, bald wie ein Sturm.
- Sie sprach: »Der singet, das ist eine herrliche Lust!
- Es zittert der Turm und es zittert mein Herz in der Brust,«
- Der Herzog Wilhelm fuhr wohl über das Meer,
- Er fuhr nach Engelland mit gewaltigem Heer.
- Er sprang vom Schiffe, da fiel er auf die Hand:
- »Hei!« – rief er – »ich faß und ergreife dich, Engelland!«
- Als nun das Normannenheer zum Sturme schritt,
- Der edle Taillefer vor den Herzog ritt:
- »Manch Jährlein hab ich gesungen und Feuer geschürt,
- Manch Jährlein gesungen und Schwert und Lanze gerührt.
- Und hab ich Euch gedient und gesungen zu Dank,
- Zuerst als ein Knecht und dann als ein Ritter frank:
- So laßt mich das entgelten am heutigen Tag,
- Vergönnet mir auf die Feinde den ersten Schlag!«
- Der Taillefer ritt vor allem Normannenheer,
- Auf einem hohen Pferde, mit Schwert und mit Speer,
- Er sang so herrlich, das klang über Hastingsfeld,
- Vom Roland sang er und manchem frommen Held.
- Und als das Rolandslied wie ein Sturm erscholl,
- Da wallete manch Panier, manch Herze schwoll,
- Da brannten Ritter und Mannen von hohem Mut,
- Der Taillefer sang und schürte das Feuer gut.
- Dann sprengt‘ er hinein und führte den ersten Stoß,
- Davon ein englischer Ritter zur Erde schoß,
- Dann schwang er das Schwert und führte den ersten Schlag,
- Davon ein englischer Ritter am Boden lag.
- Normannen sahen’s, die harrten nicht allzu lang,
- Sie brachen herein mit Geschrei und mit Schilderklang.
- Hei! sausende Pfeile, klirrender Schwerterschlag!
- Bis Harald fiel und sein trotziges Heer erlag.
- Herr Wilhelm steckte sein Banner aufs blutige Feld,
- Inmitten der Toten spannt‘ er sein Gezelt,
- Da saß er am Mahle, den goldnen Pokal in der Hand,
- Auf dem Haupte die Königskrone von Engelland.
- »Mein tapfrer Taillefer! komm, trink mir Bescheid!
- Du hast mir viel gesungen in Lieb und in Leid,
- Doch heut im Hastingsfelde dein Sang und dein Klang
- Der tönet mir in den Ohren mein Leben lang.«
Taillefer
… eine Ballade von Ludwig UhlandTaillefer von Ludwig Uhland wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.
Quelle: https://balladen.net/uhland/taillefer/
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