Ein Fischer saß im Kahne

eine Ballade von Clemens Brentano
  1. Ein Fischer saß im Kahne,
  2. Ihm war das Herz so schwer,
  3. Sein Liebchen war gestorben,
  4. Das glaubt‘ er nimmermehr.
  5. Und bis die Sternlein blinken,
  6. Und bis zum Mondenschein,
  7. Harrt er sein Lieb zu fahren
  8. Wohl auf dem tiefen Rhein.
  9. Da kömmt sie hergegangen
  10. Und steiget in den Kahn,
  11. Sie schwanket in den Knien,
  12. Hat nur ein Hemdlein an.
  13. Sie schwimmen auf den Wellen
  14. Hinab in tiefer Ruh,
  15. Da zittert sie und wanket,
  16. O Liebchen frierest du?
  17. Dein Hemdlein spielt im Winde,
  18. Das Schifflein treibt so schnell;
  19. Hüll dich in meinen Mantel,
  20. Die Nacht ist kühl und hell.
  21. Sie strecket nach den Bergen
  22. Die weißen Arme aus,
  23. Und freut sich, wie der Vollmond
  24. Aus Wolken sieht heraus,
  25. Und grüßt die alten Türme,
  26. Und will den hellen Schein,
  27. Mit ihren zarten Armen,
  28. Erfassen in dem Rhein.
  29. O setze dich doch nieder
  30. Herzallerliebste mein!
  31. Das Wasser treibt so schnelle,
  32. O fall nicht in den Rhein.
  33. Und große Städte fliegen
  34. An ihrem Kahn vorbei,
  35. Und in den Städten klingen
  36. Der Glocken mancherlei.
  37. Da kniet das Mädchen nieder
  38. Und faltet seine Händ
  39. Und seine hellen Augen
  40. Es zu dem Himmel wendt.
  41. Lieb Mädchen bete stille,
  42. Schwank nicht so hin und her,
  43. Der Kahn, er möchte sinken,
  44. Das Wasser treibt so sehr.
  45. In einem Nonnenkloster
  46. Da singen Stimmen fein
  47. Und in dem Kirchenfenster
  48. Sieht man den Kerzenschein.
  49. Da singt das Mädchen helle
  50. Die Metten in dem Kahn,
  51. Und sieht dabei mit Tränen
  52. Den Fischerknaben an.
  53. Der Knabe singt mit Tränen
  54. Die Metten in dem Kahn,
  55. Und sieht dabei sein Mädchen
  56. Mit stummen Blicken an.
  57. So rot und immer röter
  58. Wird nun die tiefe Flut,
  59. Und weiß und immer weißer
  60. Das Mädchen werden tut.
  61. Der Mond ist schon zerronnen,
  62. Kein Sternlein mehr zu sehn,
  63. Und auch dem lieben Mädchen
  64. Die Augen schon vergehn.
  65. Lieb Mädchen guten Morgen!
  66. Lieb Mädchen gute Nacht!
  67. Warum willst du nun schlafen?
  68. Da schon die Sonn erwacht.
  69. Die Türme blinken helle,
  70. Und froh der grüne Wald
  71. Von tausend bunten Stimmen
  72. In lautem Sang erschallt.
  73. Da will er sie erwecken,
  74. Daß sie die Freude hör,
  75. Er sieht zu ihr hinüber
  76. Und findet sie nicht mehr.
  77. Und legt sich in den Nachen
  78. Und schlummert weinend ein,
  79. Und treibet weiter weiter
  80. Bis in die See hinein.
  81. Die Meereswellen brausen
  82. Und schleudern ab und auf
  83. Den kleinen Fischernachen
  84. Der Knabe wacht nicht auf.
  85. Doch fahren große Schiffe
  86. In stiller Nacht einher,
  87. So sehen sie die beiden
  88. Im Kahne auf dem Meer.
Ein Fischer saß im Kahne von Clemens Brentano wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/brentano/ein-fischer-sass-im-kahne/