Ritter Toggenburg

eine Ballade von Friedrich Schiller
  1. „Ritter, treue Schwesterliebe
  2. Widmet euch dieß Herz,
  3. Fodert keine andre Liebe,
  4. Denn es macht mir Schmerz.
  5. Ruhig mag ich euch erscheinen,
  6. Ruhig gehen sehn.
  7. Eurer Augen stilles Weinen
  8. Kann ich nicht verstehn.“
  9. Und er hörts mit stummem Harme,
  10. Reißt sich blutend los,
  11. Preßt sie heftig in die Arme,
  12. Schwingt sich auf sein Roß,
  13. Schickt zu seinen Mannen allen
  14. In dem Lande Schweitz,
  15. Nach dem heilgen Grab sie wallen,
  16. Auf der Brust das Kreutz.
  17. Große Thaten dort geschehen
  18. Durch der Helden Arm,
  19. Ihres Helmes Büsche wehen
  20. In der Feinde Schwarm,
  21. Und des Toggenburgers Nahme
  22. Schreckt den Muselmann,
  23. Doch das Herz von seinem Grame
  24. Nicht genesen kann.
  25. Und ein Jahr hat ers getragen,
  26. Trägts nicht länger mehr,
  27. Ruhe kann er nicht erjagen,
  28. Und verläßt das Heer,
  29. Sieht ein Schiff an Joppe’s Strande
  30. Das die Segel bläht,
  31. Schiffet heim zum theuren Lande,
  32. Wo ihr Athem weht.
  33. Und an ihres Schlosses Pforte
  34. Klopft der Pilger an,
  35. Ach! und mit dem Donnerworte
  36. Wird sie aufgethan:
  37. „Die ihr suchet, trägt den Schleier,
  38. Ist des Himmels Braut,
  39. Gestern war des Tages Feyer
  40. Der sie Gott getraut.“
  41. Da verlässet er auf immer
  42. Seiner Väter Schloß,
  43. Seine Waffen sieht er nimmer,
  44. Noch sein treues Roß,
  45. Von der Toggenburg hernieder
  46. Steigt er unbekannt,
  47. Denn es deckt die edeln Glieder
  48. Härenes Gewand.
  49. Und erbaut sich eine Hütte
  50. Jener Gegend nah
  51. Wo das Kloster aus der Mitte
  52. Düstrer Linden sah;
  53. Harrend von des Morgens Lichte
  54. Bis zu Abends Schein,
  55. Stille Hofnung im Gesichte,
  56. Saß er da allein.
  57. Blickte nach dem Kloster drüben
  58. Blickte Stundenlang,
  59. Nach dem Fenster seiner Lieben,
  60. Bis das Fenster klang,
  61. Bis die Liebliche sich zeigte,
  62. Bis das theure Bild
  63. Sich ins Thal herunterneigte,
  64. Ruhig, engelmild.
  65. Und dann legt er froh sich nieder,
  66. Schlief getröstet ein,
  67. Still sich freuend, wenn es wieder
  68. Morgen würde seyn.
  69. Und so saß er viele Tage
  70. Saß viel Jahre lang,
  71. Harrend ohne Schmerz und Klage
  72. Bis das Fenster klang,
  73. Bis die Liebliche sich zeigte,
  74. Bis das theure Bild
  75. Sich ins Thal herunter neigte,
  76. Ruhig, engelmild.
  77. Und so saß er, eine Leiche,
  78. Eines Morgens da,
  79. Nach dem Fenster noch das bleiche
  80. Stille Antlitz sah.
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