Die Heideschenke

eine Ballade von Nikolaus Lenau
  1. Ich zog durchs weite Ungarland;
  2. Mein Herz fand seine Freude,
  3. Als Dorf und Busch und Baum verschwand
  4. Auf einer stillen Heide.
  5. Die Heide war so still, so leer,
  6. Am Abendhimmel zogen
  7. Die Wolken hin, gewitterschwer,
  8. Und leise Blitze flogen.
  9. Da hört ich in der Ferne was,
  10. In dunkler, meilenweiter;
  11. Ich legte ’s Ohr ans knappe Gras,
  12. Mir war, als kämen Reiter.
  13. Und als sie kamen näherwärts,
  14. Begann der Grund zu zittern,
  15. Stets bänger, wie ein zages Herz
  16. Vor nahenden Gewittern.
  17. Hertobte nun ein Pferdehauf,
  18. Von Hirten angetrieben
  19. Zu rastlos wildem Sturmeslauf
  20. Mit lauten Geißelhieben.
  21. Der Rappe peitscht den Grund geschwind
  22. Zurück mit starken Hufen,
  23. Wirft aus dem Wege sich den Wind,
  24. Hört nicht sein scheltend Rufen.
  25. Gezwungen ist in strenge Haft
  26. Des Wildfangs tolles Jagen,
  27. Denn klammernd herrscht des Reiters Kraft,
  28. Um seinen Bauch geschlagen.
  29. Sie flogen hin, woher mit Macht
  30. Das Wetter kam gedrungen;
  31. Verschwanden – ob die Wolkennacht
  32. Mit einmal sie verschlungen.
  33. Doch meint ich nun und immer noch
  34. Zu hören und zu sehen
  35. Der Hufe donnerndes Gepoch,
  36. Der Mähnen schwarzes Wehen.
  37. Die Wolken schienen Rosse mir,
  38. Die eilend sich vermengten,
  39. Des Himmels hallendes Revier
  40. Im Donnerlauf durchsprengten.
  41. Der Sturm ein wackrer Rosseknecht,
  42. Sein muntres Liedel singend,
  43. Daß sich die Herde tummle recht,
  44. Des Blitzes Geißel schwingend.
  45. Schon rannten sich die Rosse heiß,
  46. Matt ward der Hufe Klopfen,
  47. Und auf die Heide sank ihr Schweiß
  48. In schweren Regentropfen.
  49. Nun brach die Dämmerung herein,
  50. Mir winkt von fernen Hügeln
  51. Herüber weißer Wände Schein,
  52. Die Schritte zu beflügeln.
  53. Es schwieg der Sturm, das Wetter schwand;
  54. Froh, daß es fortgezogen,
  55. Sprang übers ganze Heideland
  56. Der junge Regenbogen.
  57. Die Hügel nahten allgemach;
  58. Die Sonne wies im Sinken
  59. Mir noch von Rohr das braune Dach,
  60. Ließ hell die Fenster blinken.
  61. Am Giebel tanzte wie berauscht
  62. Des Weines grüner Zeiger,
  63. Und als ich freudig hingelauscht,
  64. Hört ich Gesang und Geiger.
  65. Bald kehrt ich ein und setzte mich
  66. Allein mit meinem Kruge;
  67. An mir vorüber drehte sich
  68. Der Tanz im raschen Fluge.
  69. Die Dirnen waren frisch und jung
  70. Und hatten schlanke Leiber,
  71. Gar flink im Drehen, leicht im Sprung,
  72. Die Bursche – waren Räuber.
  73. Die Hände klatschten, und im Takt
  74. Hell klirrt des Spornes Eisen;
  75. Das Lied frohlocket, und es klagt
  76. Schwermütig kühne Weisen.
  77. Ein Räuber singt: »Wir sind so frei,
  78. So selig, meine Brüder!«
  79. Am Jubeln seines Munds vorbei
  80. Schleicht eine Träne nieder.
  81. Der Hauptmann sitzt, auf seinen Arm
  82. Das braune Antlitz senkend,
  83. Er scheint entrückt dem lauten Schwarm,
  84. Wie an sein Schicksal denkend.
  85. Das Feuer seiner Augen bricht
  86. Hindurch die finstern Brauen,
  87. Wie nachts im Wald der Flamme Licht
  88. Durch Büsche ist zu schauen.
  89. Wächst aber Sang und Sporngeklirr
  90. Nun kühner den Genossen,
  91. Seh ich das leere Weingeschirr
  92. Ihn kräftig niederstoßen.
  93. Ein Mädel sitzt an seiner Seit,
  94. Scheint ihn als Kind zu ehren
  95. Und gerne hier der Fröhlichkeit
  96. Des Tanzes zu entbehren.
  97. Auf ihren Reizen ruht sein Blick
  98. Mit innigem Behagen,
  99. Zugleich auf seines Kinds Geschick
  100. Mit heimlichem Beklagen. –
  101. Stets wilder in die Seelen geigt
  102. Nun die Zigeunerbande,
  103. Der Freude süßes Rasen steigt
  104. Laut auf zum höchsten Brande.
  105. Und selbst des Hauptmanns Angesicht
  106. Hat Freude überkommen; –
  107. Da dacht ich an das Hochgericht
  108. Und ging hinaus, beklommen.
  109. Die Heide war so still, so leer,
  110. Am Himmel nur war Leben;
  111. Ich sah der Sterne strahlend Heer,
  112. Des Mondes Völle schweben.
  113. Der Hauptmann auch entschlich dem Haus;
  114. Mit wachsamer Gebärde
  115. Rings horcht’ er in die Nacht hinaus,
  116. Dann horcht’ er in die Erde,
  117. Ob er nicht höre schon den Tritt
  118. Ereilender Gefahren,
  119. Ob leise nicht der Grund verriet
  120. Ansprengende Husaren.
  121. Er hörte nichts, da blieb er stehn,
  122. Um in die hellen Sterne,
  123. Um in den hellen Mond zu sehn,
  124. Als möcht er sagen gerne:
  125. ›O Mond im weißen Unschuldskleid!
  126. Ihr Sterne dort unzählig!
  127. In eurer stillen Sicherheit,
  128. Wie wandert ihr so selig!‹
  129. Er lauschte wieder, – und er sprang
  130. Und rief hinein zum Hause,
  131. Und seiner Stimme Macht verschlang
  132. Urplötzlich das Gebrause.
  133. Und eh das Herz mir dreimal schlug,
  134. So saßen sie zu Pferde,
  135. Und auf und davon im schnellen Flug,
  136. Daß rings erbebte die Erde.
  137. Doch die Zigeuner blieben hier,
  138. Die feurigen Gesellen,
  139. Und spielten alte Lieder mir
  140. Rakoczys, des Rebellen.
Die Heideschenke von Nikolaus Lenau wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/lenau/die-heideschenke/