Karl der Zwölfte von Schweden reitet in der Ukraine

eine Ballade von Rainer Maria Rilke
  1. Könige in Legenden
  2. sind wie Berge im Abend. Blenden
  3. jeden zu dem sie sich wenden.
  4. Die Gürtel um ihre Lenden
  5. und die lastenden Mantelenden
  6. sind Länder und Leben wert.
  7. Mit den reichgekleideten Händen
  8. geht, schlank und nackt, das Schwert.
  9. Ein junger König aus Norden war
  10. in der Ukraine geschlagen.
  11. Der hasste Frühling und Frauenhaar
  12. und die Harfen und was sie sagen.
  13. Der ritt auf einem grauen Pferd,
  14. sein Auge schaute grau
  15. und hatte niemals Glanz begehrt
  16. zu Füßen einer Frau.
  17. Keine war seinem Blicke blond,
  18. keine hat küssen ihn gekonnt,
  19. und wenn er zornig war,
  20. so riß er einen Perlenmond
  21. aus wunderschönem Haar.
  22. Und wenn ihn Trauer überkam,
  23. so machte er ein Mädchen zahm
  24. und forschte, wessen Ring sie nahm
  25. und wem sie ihren bot –
  26. und: hetzte ihr den Bräutigam
  27. mit hundert Hunden tot.
  28. Und er verließ sein graues Land,
  29. das ohne Stimme war,
  30. und ritt in einen Widerstand
  31. und kämpfte um Gefahr,
  32. bis ihn das Wunder überwand:
  33. wie träumend ging ihm seine Hand
  34. von Eisenband zu Eisenband
  35. und war kein Schwert darin;
  36. er war zum Schauen aufgewacht:
  37. es schmeichelte die schöne Schlacht
  38. um seinen Eigensinn.
  39. Er saß zu Pferde: ihm entging
  40. keine Gebärde rings.
  41. Auf Silber sprach jetzt Ring zu Ring,
  42. und Stimme war in jedem Ding,
  43. und wie in vielen Glocken hing
  44. die Seele jedes Dings.
  45. Und auch der Wind war anders groß,
  46. der in die Fahnen sprang,
  47. schlank wie ein Panther, atemlos
  48. und taumelnd vom Trompetenstoß,
  49. der lachend mit ihm rang.
  50. Und manchmal griff der Wind hinab:
  51. da ging ein Blutender, – ein Knab,
  52. welcher die Trommel schlug;
  53. er trug sie immer auf und ab
  54. und trug sie wie sein Herz ins Grab
  55. vor seinem toten Zug.
  56. Da wurde mancher Berg geballt,
  57. als wär die Erde noch nicht alt
  58. und baute sich erst auf;
  59. bald stand das Eisen wie Basalt,
  60. bald schwankte wie ein Abendwald
  61. mit breiter steigender Gestalt
  62. der großbewegte Hauf.
  63. Es dampfte dumpf die Dunkelheit,
  64. was dunkelte war nicht die Zeit, –
  65. und alles wurde grau,
  66. aber schon fiel ein neues Scheit,
  67. und wieder ward die Flamme breit
  68. und festlich angefacht.
  69. Sie griffen an: in fremder Tracht
  70. ein Schwarm phantastischer Provinzen;
  71. wie alles Eisen plötzlich lacht:
  72. von einem silberlichten Prinzen
  73. erschimmerte die Abendschlacht.
  74. Die Fahnen flatterten wie Freuden
  75. und alle hatten königlich
  76. in ihren Gesten ein Vergeuden, –
  77. an fernen flammenden Gebäuden
  78. entzündeten die Sterne sich …
  79. Und Nacht war. Und die Schlacht trat sachte
  80. zurück wie ein sehr müdes Meer,
  81. das viele fremde Tote brachte,
  82. und alle Toten waren schwer.
  83. Vorsichtig ging das graue Pferd
  84. (von großen Fäusten abgewehrt)
  85. durch Männer, welche fremd verstarben,
  86. und trat auf flaches, schwarzes Gras.
  87. Der auf dem grauen Pferde saß,
  88. sah unten auf den feuchten Farben
  89. viel Silber wie zerschelltes Glas.
  90. Sah Eisen welken, Helme trinken
  91. und Schwerter stehn in Panzernaht,
  92. sterbende Hände sah er winken
  93. mit einem Fetzen von Brokat …
  94. Und sah es nicht.
  95. Und ritt dem Lärme
  96. der Feldschlacht nach, als ob er schwärme
  97. mit seinen Wangen voller Wärme
  98. und mit den Augen von Verliebten …
Karl der Zwölfte von Schweden reitet in der Ukraine von Rainer Maria Rilke wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/rilke/karl-der-zwoelfte-von-schweden-reitet-in-der-ukraine/