Die Glocke von Kadamar

eine Ballade von Börries von Münchhausen
  1. »Wir wollen dies Jahr die Felder am Rhein
  2. Mit heißen Sicheln mähn,
  3. Wie Sensen soll der Flammenschein
  4. Über die Ernten gehn.
  5. Gott gnade der Burg und gnade der Stadt,
  6. Die meiner Faust widerspricht, –
  7. Du hältst wohl aus die Kanone am Rad,
  8. Aber Tilly – hältst du nicht!«
  9. Und der Brabanter sprang vom Pferd,
  10. Eisenumschlossen ganz,
  11. Hell klirrend schlug an Koller und Schwert
  12. Der eiserne Rosenkranz.
  13. Da stiegen die Wogen des Reiterkriegs,
  14. Da prasselten Hieb und Schuß,
  15. Und von dem Blute des Reitersiegs
  16. Ward rot der blaue Fluß.
  17. Was silberne Glocken gewesen einst,
  18. Klingelt als Geld durchs Land,
  19. Und wer die Messe gelesen einst,
  20. Bettelt am Straßenrand. –
  21. Zu Walmarod der Reichsbaron
  22. Die Zugbrück zog er herauf:
  23. »’s ist nicht für meine Religion,
  24. Die gäb ich gern in Kauf,
  25. ’s ist nicht für meine Baronie,
  26. Für Thron nicht und Altar,
  27. Ich kämpfe nur für dich, Sophie,
  28. Sophie, und für dein Haar!
  29. Für jedes Haar und für jeden Kuß
  30. Einen Schwerthieb schlag ich dafür,
  31. Bis ich Tillys Herz zwischen diesem Fuß
  32. Und der alten Erde spür!
  33. Geliebte, nun tauche den roten Mund
  34. In den roten rheinischen Wein,
  35. Wir läuten mit klingendem Gläserrund,
  36. Wir läuten die Litanein!« – –
  37. »Im Namen des Sohnes der Marie,
  38. Des Jesusknaben von Prag,
  39. Ich will die Burg und ich nehme sie
  40. Vor Sankt Gertraudentag!
  41. Nie lag ich so lange im Hinterhalt
  42. Und nie so lang auf der Laur,
  43. Niemals im ganzen Westerwald
  44. Und im Walde von Montabaur.
  45. Ich schwör’s: Wenn ich fange das girrende Paar;
  46. Sein Haupt vorm Beile sinkt,
  47. Wenn drüben vom Kloster in Hadamar
  48. Der Ton der Mette klingt!« – –
  49. Der Söldner mit Schienen die Schenkel umschloß
  50. Und prüfte des Flambergs Glanz,
  51. Und in die Musketenkugeln goß
  52. Er Perlen vom Rosenkranz.
  53. Und sie klommen empor trotz Pfeil und Tod
  54. Im scheidenden Abendlicht,
  55. Und sie fingen den Herren von Walmarod,
  56. Das Weib aber – fingen sie nicht!
  57. Durch den schweigenden Wald den verschwiegenen Pfad
  58. Hinfloh sie aus Schande und Schlacht,
  59. Und es säte der Hengst die Funkensaat
  60. In die dunkele Furche der Nacht.
  61. Zu Hadamar die alte Abtei
  62. Träumte im Mondenlicht.
  63. Sie schlich an der Türe des Pförtners vorbei,
  64. Den Klopfer hob sie nicht.
  65. Es klomm die Stufen zum Glockenturm
  66. Empor die schöne Sophie,
  67. Wohl atmete droben der Frühlingssturm,
  68. Viel stürmischer atmete sie.
  69. Und um den Klöppel der Glocke schlang
  70. Sie die runden Arme fest,
  71. Und hielt den schwankenden Glockenstrang
  72. Zwischen ihre Schenkel gepreßt. –
  73. Es zog der Mönch zur Mette das Seil,
  74. Die Glocke war heut tot, –
  75. Er riß zum zweiten am Glockenseil,
  76. Da ward es blutig rot.
  77. Anschlug er den Klöppel zum dritten Mal,
  78. Da klang ein Schrei so schrill,
  79. Ein Schrei von wild verzweifelnder Qual,
  80. Dann ward es totenstill,
  81. Und nur die große Glocke hallt
  82. Von Hadamar-Abtei
  83. Zitternd über den Westerwald
  84. Ihren letzten Sterbeschrei.
  85. Und als er klang in Walmarod,
  86. Ins Knie sank der Baron:
  87. »Erbarm dich, Herr, um meinen Tod
  88. Durch Christum deinen Sohn!«
Die Glocke von Kadamar von Börries von Münchhausen wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/muenchhausen/die-glocke-von-kadamar/