Hero und Leander

eine Ballade von Friedrich Schiller
  1. Seht ihr dort die altergrauen
  2. Schlösser sich entgegen schauen,
  3. Leuchtend in der Sonne Gold,
  4. Wo der Hellespont die Wellen
  5. Brausend durch der Dardanellen
  6. Hohe Felsenpforte rollt?
  7. Hört ihr jene Brandung stürmen,
  8. Die sich an den Felsen bricht?
  9. Asien riß sie von Europen,
  10. Doch die Liebe schreckt sie nicht.
  11. Heros und Leanders Herzen
  12. Rührte mit dem Pfeil der Schmerzen
  13. Amors heilge Göttermacht.
  14. Hero, schön wie Hebe blühend,
  15. Er, durch die Gebirge ziehend
  16. Rüstig, im Geräusch der Jagd.
  17. Doch der Väter feindlich Zürnen
  18. Trennte das verbundne Paar,
  19. Und die süße Frucht der Liebe
  20. Hing am Abgrund der Gefahr.
  21. Dort auf Sestos‘ Felsenturme,
  22. Den mit ewgem Wogensturme
  23. Schäumend schlägt der Hellespont,
  24. Saß die Jungfrau, einsam grauend,
  25. Nach Abydos‘ Küste schauend,
  26. Wo der Heißgeliebte wohnt.
  27. Ach, zu dem entfernten Strande
  28. Baut sich keiner Brücke Steg,
  29. Und kein Fahrzeug stößt vom Ufer,
  30. Doch die Liebe fand den Weg.
  31. Aus des Labyrinthes Pfaden
  32. Leitet sie mit sicherm Faden,
  33. Auch den Blöden macht sie klug,
  34. Beugt ins Joch die wilden Tiere,
  35. Spannt die feuersprühnden Stiere
  36. An den diamantnen Pflug.
  37. Selbst der Styx, der neunfach fließet,
  38. Schließt die wagende nicht aus,
  39. Mächtig raubt sie das Geliebte
  40. Aus des Pluto finsterm Haus.
  41. Auch durch des Gewässers Fluten
  42. Mit der Sehnsucht feurgen Gluten
  43. Stachelt sie Leanders Mut.
  44. Wenn des Tages heller Schimmer
  45. Bleichet, stürzt der kühne Schwimmer
  46. In des Pontus finstre Flut,
  47. Teilt mit starkem Arm die Woge,
  48. Strebend nach dem teuren Strand,
  49. Wo auf hohem Söller leuchtend
  50. Winkt der Fackel heller Brand.
  51. Und in weichen Liebesarmen
  52. Darf der Glückliche erwarmen
  53. Von der schwer bestandnen Fahrt,
  54. Und den Götterlohn empfangen,
  55. Den in seligem Umfangen
  56. Ihm die Liebe aufgespart,
  57. Bis den Säumenden Aurora
  58. Aus der Wonne Träumen weckt,
  59. Und ins kalte Bett des Meeres
  60. Aus dem Schoß der Liebe schreckt.
  61. Und so flohen dreißig Sonnen
  62. Schnell, im Raub verstohlner Wonnen,
  63. Dem beglückten Paar dahin,
  64. Wie der Brautnacht süße Freuden,
  65. Die die Götter selbst beneiden,
  66. Ewig jung und ewig grün.
  67. Der hat nie das Glück gekostet,
  68. Der die Frucht des Himmels nicht
  69. Raubend an des Höllenflusses
  70. Schauervollem Rande bricht.
  71. Hesper und Aurora zogen
  72. Wechselnd auf am Himmelsbogen,
  73. Doch die Glücklichen, sie sahn
  74. Nicht den Schmuck der Blätter fallen,
  75. Nicht aus Nords beeisten Hallen
  76. Den ergrimmten Winter nahn.
  77. Freudig sahen sie des Tages
  78. Immer kürzern, kürzern Kreis,
  79. Für das längre Glück der Nächte
  80. Dankten sie betört dem Zeus.
  81. Und es gleichte schon die Waage
  82. An dem Himmel Nächt und Tage,
  83. Und die holde Jungfrau stand
  84. Harrend auf dem Felsenschlosse,
  85. Sah hinab die Sonnenrosse
  86. Fliehen an des Himmels Rand.
  87. Und das Meer lag still und eben,
  88. Einem reinen Spiegel gleich,
  89. Keines Windes leises Weben
  90. Regte das kristallne Reich.
  91. Lustige Delphinenscharen
  92. Scherzten in dem silberklaren
  93. Reinen Element umher,
  94. Und in schwärzlicht grauen Zügen
  95. Aus dem Meergrund aufgestiegen
  96. Kam der Tethys buntes Heer.
  97. Sie, die einzigen, bezeugten
  98. Den verstohlnen Liebesbund,
  99. Aber ihnen schloß auf ewig
  100. Hekate den stummen Mund.
  101. Und sie freute sich des schönen
  102. Meeres, und mit Schmeicheltönen
  103. Sprach sie zu dem Element:
  104. »Schöner Gott! du solltest trügen?
  105. Nein, den Frevler straf ich Lügen,
  106. Der dich falsch und treulos nennt.
  107. Falsch ist das Geschlecht der Menschen,
  108. Grausam ist des Vaters Herz,
  109. Aber du bist mild und gütig,
  110. Und dich rührt der Liebe Schmerz.
  111. In den öden Felsenmauern
  112. Müßt ich freudlos einsam trauern
  113. Und verblühn in ewgem Harm,
  114. Doch du trägst auf deinem Rücken
  115. Ohne Nachen, ohne Brücken,
  116. Mir den Freund in meinen Arm.
  117. Grauenvoll ist deine Tiefe,
  118. Furchtbar deiner Wogen Flut,
  119. Aber dich erfleht die Liebe,
  120. Dich bezwingt der Heldenmut.
  121. Denn auch dich, den Gott der Wogen,
  122. Rührte Eros‘ mächtger Bogen,
  123. Als des goldnen Widders Flug
  124. Helle, mit dem Bruder fliehend,
  125. Schön in Jugendfülle blühend,
  126. Über deine Tiefe trug.
  127. Schnell von ihrem Reiz besieget
  128. Griffst du aus dem finstern Schlund,
  129. Zogst sie von des Widders Rücken
  130. Nieder in den Meeresgrund.
  131. Eine Göttin mit dem Gotte,
  132. In der tiefen Wassergrotte
  133. Lebt sie jetzt unsterblich fort,
  134. Hilfreich der verfolgten Liebe
  135. Zähmt sie deine wilden Triebe,
  136. Führt den Schiffer in den Port.
  137. Schöne Helle! Holde Göttin!
  138. Selige, dich fleh ich an:
  139. Bring auch heute den Geliebten
  140. Mir auf der gewohnten Bahn.«
  141. Und schon dunkelten die Fluten,
  142. Und sie ließ der Fackel Gluten
  143. Von dem hohen Söller wehn.
  144. Leitend in den öden Reichen
  145. Sollte das vertraute Zeichen
  146. Der geliebte Wandrer sehn.
  147. Und es saust und dröhnt von ferne,
  148. Finster kräuselt sich das Meer,
  149. Und es löscht das Licht der Sterne,
  150. Und es naht gewitterschwer.
  151. Auf des Pontus weite Fläche
  152. Legt sich Nacht, und Wetterbäche
  153. Stürzen aus der Wolken Schoß,
  154. Blitze zucken in den Lüften,
  155. Und aus ihren Felsengrüften
  156. Werden alle Stürme los,
  157. Wühlen ungeheure Schlünde
  158. In den weiten Wasserschlund,
  159. Gähnend wie ein Höllenrachen
  160. Öffnet sich des Meeres Grund.
  161. »Wehe! Weh mir!« ruft die Arme
  162. Jammernd, »Großer Zeus, erbarme!
  163. Ach! Was wagt‘ ich zu erflehn!
  164. Wenn die Götter mich erhören,
  165. Wenn er sich den falschen Meeren
  166. Preisgab in des Sturmes Wehn!
  167. Alle meergewohnten Vögel
  168. Ziehen heim in eilger Flucht,
  169. Alle sturmerprobten Schiffe
  170. Bergen sich in sichrer Bucht.
  171. Ach gewiß, der Unverzagte
  172. Unternahm das oft Gewagte,
  173. Denn ihn trieb ein mächtger Gott.
  174. Er gelobte mirs beim Scheiden
  175. Mit der Liebe heilgen Eiden,
  176. Ihn entbindet nur der Tod.
  177. Ach! in diesem Augenblicke
  178. Ringt er mit des Sturmes Wut,
  179. Und hinab in ihre Schlünde
  180. Reißt ihn die empörte Flut.
  181. Falscher Pontus, deine Stille
  182. War nur des Verrates Hülle,
  183. Einem Spiegel warst du gleich,
  184. Tückisch ruhten deine Wogen,
  185. Bis du ihn heraus betrogen
  186. In dein falsches Lügenreich.
  187. Jetzt in deines Stromes Mitte,
  188. Da die Rückkehr sich verschloß,
  189. Lässest du auf den Verratnen
  190. Alle deine Schrecken los.«
  191. Und es wächst des Sturmes Toben,
  192. Hoch zu Bergen aufgehoben
  193. Schwillt das Meer, die Brandung bricht
  194. Schäumend sich am Fuß der Klippen,
  195. Selbst das Schiff mit Eichenrippen
  196. Nahte unzerschmettert nicht.
  197. Und im Wind erlischt die Fackel
  198. Die des Pfades Leuchte war,
  199. Schrecken bietet das Gewässer,
  200. Schrecken auch die Landung dar.
  201. Und sie fleht zur Aphrodite,
  202. Daß sie dem Orkan gebiete,
  203. Sänftige der Wellen Zorn,
  204. Und gelobt, den strengen Winden
  205. Reiche Opfer anzuzünden,
  206. Einen Stier mit goldnem Horn.
  207. Alle Göttinnen der Tiefe,
  208. Alle Götter in der Höh
  209. Fleht sie, lindernd Öl zu gießen
  210. In die sturmbewegte See.
  211. »Höre meinen Ruf erschallen,
  212. Steig aus deinen grünen Hallen,
  213. Selige Leukothea!
  214. Die der Schiffer in dem öden
  215. Wellenreich, in Sturmesnöten
  216. Rettend oft erscheinen sah.
  217. Reich ihm deinen heilgen Schleier,
  218. Der, geheimnisvoll gewebt,
  219. Die ihn tragen, unverletzlich
  220. Aus dem Grab der Fluten hebt.«
  221. Und die wilden Winde schweigen,
  222. Hell an Himmels Rande steigen
  223. Eos‘ Pferde in die Höh.
  224. Friedlich in dem alten Bette
  225. Fließt das Meer in Spiegelsglätte,
  226. Heiter lächeln Luft und See.
  227. Sanfter brechen sich die Wellen
  228. An des Ufers Felsenwand,
  229. Und sie schwemmen, ruhig spielend,
  230. Einen Leichnam an den Strand.
  231. Ja, er ists, der, auch entseelet,
  232. Seinem heilgen Schwur nicht fehlet!
  233. Schnellen Blicks erkennt sie ihn,
  234. Keine Klage läßt sie schallen,
  235. Keine Träne sieht man fallen,
  236. Kalt, verzweifelnd starrt sie hin.
  237. Trostlos in die öde Tiefe
  238. Blickt sie, in des Äthers Licht,
  239. Und ein edles Feuer rötet
  240. Das erbleichte Angesicht.
  241. »Ich erkenn euch, ernste Mächte,
  242. Strenge treibt ihr eure Rechte,
  243. Furchtbar, unerbittlich ein.
  244. Früh schon ist mein Lauf beschlossen,
  245. Doch das Glück hab ich genossen,
  246. Und das schönste Los war mein.
  247. Lebend hab ich deinem Tempel
  248. Mich geweiht als Priesterin,
  249. Dir ein freudig Opfer sterb ich,
  250. Venus, große Königin!«
  251. Und mit fliegendem Gewande
  252. Schwingt sie von des Turmes Rande
  253. In die Meerflut sich hinab.
  254. Hoch in seinen Flutenreichen
  255. Wälzt der Gott die heilgen Leichen,
  256. Und er selber ist ihr Grab.
  257. Und mit seinem Raub zufrieden
  258. Zieht er freudig fort und gießt
  259. Aus der unerschöpften Urne
  260. Seinen Strom, der ewig fließt.
Hero und Leander von Friedrich Schiller wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

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