Das Lied von der Glocke

eine Ballade von Friedrich Schiller

Vivos voco. Mortuos plango. Fulgura frango.

  1. Fest gemauert in der Erden
  2. Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
  3. Heute muß die Glocke werden,
  4. Frisch, Gesellen! seyd zur Hand.
  5. Von der Stirne heiß
  6. Rinnen muß der Schweiß,
  7. Soll das Werk den Meister loben,
  8. Doch der Segen kommt von oben.
  9. Zum Werke, das wir ernst bereiten,
  10. Geziemt sich wohl ein ernstes Wort;
  11. Wenn gute Reden sie begleiten,
  12. Dann fließt die Arbeit munter fort.
  13. So laßt uns jetzt mit Fleiß betrachten,
  14. Was durch die schwache Kraft entspringt,
  15. Den schlechten Mann muß man verachten,
  16. Der nie bedacht, was er vollbringt.
  17. Das ist’s ja, was den Menschen zieret,
  18. Und dazu ward ihm der Verstand,
  19. Daß er im innern Herzen spüret,
  20. Was er erschafft mit seiner Hand.
  21. Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
  22. Doch recht trocken laßt es seyn,
  23. Daß die eingepreßte Flamme
  24. Schlage zu dem Schwalch hinein,
  25. Kocht des Kupfers Brey,
  26. Schnell das Zinn herbey,
  27. Daß die zähe Glockenspeise
  28. Fließe nach der rechten Weise.
  29. Was in des Dammes tiefer Grube
  30. Die Hand mit Feuers Hilfe baut,
  31. Hoch auf des Thurmes Glockenstube
  32. Da wird es von uns zeugen laut.
  33. Noch dauern wird’s in späten Tagen
  34. Und rühren vieler Menschen Ohr,
  35. Und wird mit dem Betrübten klagen,
  36. Und stimmen zu der Andacht Chor.
  37. Was unten tief dem Erdensohne
  38. Das wechselnde Verhängniß bringt,
  39. Das schlägt an die metallne Krone,
  40. Die es erbaulich weiter klingt.
  41. Weiße Blasen seh’ ich springen,
  42. Wohl! die Massen sind im Fluß.
  43. Laßt’s mit Aschensalz durchdringen,
  44. Das befördert schnell den Guß.
  45. Auch von Schaume rein
  46. Muß die Mischung seyn,
  47. Daß vom reinlichen Metalle
  48. Rein und voll die Stimme schalle.
  49. Denn mit der Freude Feyerklange
  50. Begrüßt sie das geliebte Kind
  51. Auf seines Lebens erstem Gange,
  52. Den es in Schlafes Arm beginnt;
  53. Ihm ruhen noch im Zeitenschooße
  54. Die schwarzen und die heitern Loose,
  55. Der Mutterliebe zarte Sorgen
  56. Bewachen seinen goldnen Morgen –
  57. Die Jahre fliehen pfeilgeschwind.
  58. Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe
  59. Er stürmt ins Leben wild hinaus,
  60. Durchmißt die Welt am Wanderstabe,
  61. Fremd kehrt er heim in’s Vaterhaus,
  62. Und herrlich, in der Jugend Prangen,
  63. Wie ein Gebild aus Himmels Höh’n,
  64. Mit züchtigen, verschämten Wangen
  65. Sieht er die Jungfrau vor sich stehn.
  66. Da faßt ein namenloses Sehnen
  67. Des Jünglings Herz, er irrt allein,
  68. Aus seinen Augen brechen Thränen,
  69. Er flieht der Brüder wilden Reihn.
  70. Erröthend folgt er Ihren Spuren,
  71. Und ist von ihrem Gruß beglückt;
  72. Das Schönste sucht er auf den Fluren,
  73. Womit er seine Liebe schmückt.
  74. O! zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
  75. Der ersten Liebe goldne Zeit,
  76. Das Auge sieht den Himmel offen,
  77. Es schwelgt das Herz in Seligkeit,
  78. O! daß sie ewig grünen bliebe,
  79. Die schöne Zeit der jungen Liebe!
  80. Wie sich schon die Pfeifen bräunen!
  81. Dieses Stäbchen tauch’ ich ein,
  82. Sehn wir’s überglast erscheinen
  83. Wird’s zum Gusse zeitig seyn.
  84. Jetzt, Gesellen, frisch!
  85. Prüft mir das Gemisch,
  86. Ob das Spröde mit dem Weichen
  87. Sich vereint zum guten Zeichen.
  88. Denn wo das Strenge mit dem Zarten,
  89. Wo Starkes sich und Mildes paarten,
  90. Da giebt es einen guten Klang.
  91. Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
  92. Ob sich das Herz zum Herzen findet!
  93. Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.
  94. Lieblich in der Bräute Locken
  95. Spielt der jungfräuliche Kranz,
  96. Wenn die hellen Kirchenglocken
  97. Laden zu des Festes Glanz.
  98. Ach! des Lebens schönste Feyer
  99. Endigt auch den Lebens-May,
  100. Mit dem Gürtel, mit dem Schleyer
  101. Reißt der schöne Wahn entzwey.
  102. Die Leidenschaft flieht,
  103. Die Liebe muß bleiben,
  104. Die Blume verblüht,
  105. Die Frucht muß treiben.
  106. Der Mann muß hinaus
  107. In’s feindliche Leben,
  108. Muß wirken und streben
  109. Und pflanzen und schaffen,
  110. Erlisten, erraffen,
  111. Muß wetten und wagen
  112. Das Glück zu erjagen.
  113. Da strömet herbey die unendliche Gabe,
  114. Es füllt sich der Speicher mit köstlicher Haabe,
  115. Die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus.
  116. Und drinnen waltet
  117. Die züchtige Hausfrau,
  118. Die Mutter der Kinder,
  119. Und herrschet weise
  120. Im häuslichen Kreise,
  121. Und lehret die Mädchen
  122. Und wehret den Knaben,
  123. Und reget ohn’ Ende
  124. Die fleißigen Hände,
  125. Und mehrt den Gewinn
  126. Mit ordnendem Sinn,
  127. Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden,
  128. Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,
  129. Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein
  130. Die schimmernde Wolle, den schneeigten Lein,
  131. Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer,
  132. Und ruhet nimmer.
  133. Und der Vater mit frohem Blick,
  134. Von des Hauses weitschauendem Giebel
  135. Ueberzählet sein blühend Glück,
  136. Siehet der Pfosten ragende Bäume,
  137. Und der Scheunen gefüllte Räume
  138. Und die Speicher, vom Segen gebogen,
  139. Und des Kornes bewegte Wogen,
  140. Rühmt sich mit stolzem Mund:
  141. Fest wie der Erde Grund
  142. Gegen des Unglücks Macht
  143. Steht mir des Hauses Pracht!
  144. Doch mit des Geschickes Mächten
  145. Ist kein ew’ger Bund zu flechten,
  146. Und das Unglück schreitet schnell.
  147. Wohl! Nun kann der Guß beginnen,
  148. Schön gezacket ist der Bruch.
  149. Doch, bevor wir’s lassen rinnen,
  150. Betet einen frommen Spruch!
  151. Stoßt den Zapfen aus!
  152. Gott bewahr’ das Haus.
  153. Rauchend in des Henkels Bogen
  154. Schießt’s mit feuerbraunen Wogen.
  155. Wohlthätig ist des Feuers Macht,
  156. Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht,
  157. Und was er bildet, was er schafft,
  158. Das dankt er dieser Himmelskraft;
  159. Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
  160. Wenn sie der Fessel sich entrafft,
  161. Einhertritt auf der eignen Spur
  162. Die freye Tochter der Natur.
  163. Wehe, wenn sie losgelassen
  164. Wachsend ohne Widerstand
  165. Durch die volkbelebten Gassen
  166. Wälzt den ungeheuren Brand!
  167. Denn die Elemente hassen
  168. Das Gebild der Menschenhand.
  169. Aus der Wolke
  170. Quillt der Segen,
  171. Strömt der Regen,
  172. Aus der Wolke, ohne Wahl,
  173. Zuckt der Strahl!
  174. Hört ihr’s wimmern hoch vom Thurm!
  175. Das ist Sturm!
  176. Roth wie Blut
  177. Ist der Himmel.
  178. Das ist nicht des Tages Glut!
  179. Welch Getümmel
  180. Straßen auf!
  181. Dampf wallt auf!
  182. Flackernd steigt die Feuersäule,
  183. Durch der Straße lange Zeile
  184. Wächst es fort mit Windeseile,
  185. Kochend wie aus Ofens Rachen
  186. Glühn die Lüfte, Balken krachen,
  187. Pfosten stürzen, Fenster klirren,
  188. Kinder jammern, Mütter irren,
  189. Thiere wimmern
  190. Unter Trümmern,
  191. Alles rennet, rettet, flüchtet,
  192. Taghell ist die Nacht gelichtet,
  193. Durch der Hände lange Kette
  194. Um die Wette
  195. Fliegt der Eimer, hoch im Bogen
  196. Sprützen Quellen, Wasserwogen.
  197. Heulend kommt der Sturm geflogen,
  198. Der die Flamme brausend sucht,
  199. Prasselnd in die dürre Frucht
  200. Fällt sie, in des Speichers Räume,
  201. In der Sparren dürre Bäume,
  202. Und als wollte sie im Wehen
  203. Mit sich fort der Erde Wucht
  204. Reissen, in gewalt’ger Flucht,
  205. Wächst sie in des Himmels Höhen
  206. Riesengroß!
  207. Hoffnungslos
  208. Weicht der Mensch der Götterstärke,
  209. Müßig sieht er seine Werke
  210. Und bewundernd untergehen.
  211. Leergebrannt
  212. Ist die Stätte,
  213. Wilder Stürme rauhes Bette,
  214. In den öden Fensterhöhlen
  215. Wohnt das Grauen,
  216. Und des Himmels Wolken schauen
  217. Hoch hinein.
  218. Einen Blick
  219. Nach dem Grabe
  220. Seiner Haabe
  221. Sendet noch der Mensch zurück –
  222. Greift fröhlich dann zum Wanderstabe.
  223. Was Feuers Wuth ihm auch geraubt,
  224. Ein süßer Trost ist ihm geblieben,
  225. Er zählt die Häupter seiner Lieben
  226. Und sieh! ihm fehlt kein theures Haupt.
  227. In die Erd’ ist’s aufgenommen,
  228. Glücklich ist die Form gefüllt,
  229. Wird’s auch schön zu Tage kommen,
  230. Daß es Fleiß und Kunst vergilt?
  231. Wenn der Guß mißlang?
  232. Wenn die Form zersprang?
  233. Ach! vielleicht indem wir hoffen
  234. Hat uns Unheil schon getroffen.
  235. Dem dunkeln Schooß der heil’gen Erde
  236. Vertrauen wir der Hände That,
  237. Vertraut der Sämann seine Saat
  238. Und hofft, daß sie entkeimen werde
  239. Zum Segen, nach des Himmels Rath.
  240. Noch köstlicheren Saamen bergen
  241. Wir traurend in der Erde Schooß,
  242. Und hoffen, daß er aus den Särgen
  243. Erblühen soll zu schönerm Loos.
  244. Von dem Dome
  245. Schwer und bang
  246. Tönt die Glocke
  247. Grabgesang.
  248. Ernst begleiten ihre Trauerschläge
  249. Einen Wandrer auf dem letzten Wege.
  250. Ach! die Gattin ist’s, die theure,
  251. Ach! es ist die treue Mutter,
  252. Die der schwarze Fürst der Schatten
  253. Wegführt aus dem Arm des Gatten,
  254. Aus der zarten Kinder Schaar,
  255. Die sie blühend ihm gebahr,
  256. Die sie an der treuen Brust
  257. Wachsen sah mit Mutterlust –
  258. Ach! des Hauses zarte Bande
  259. Sind gelöst auf immerdar,
  260. Denn sie wohnt im Schattenlande,
  261. Die des Hauses Mutter war,
  262. Denn es fehlt ihr treues Walten,
  263. Ihre Sorge wacht nicht mehr,
  264. An verwaister Stätte schalten
  265. Wird die Fremde, liebeleer.
  266. Bis die Glocke sich verkühlet
  267. Laßt die strenge Arbeit ruhn,
  268. Wie im Laub der Vogel spielet
  269. Mag sich jeder gütlich thun.
  270. Winkt der Sterne Licht,
  271. Ledig aller Pflicht
  272. Hört der Pursch die Vesper schlagen,
  273. Meister muß sich immer plagen.
  274. Munter fördert
  275. Seine Schritte
  276. Fern im wilden Forst der Wandrer
  277. Nach der lieben Heimathhütte.
  278. Blöckend ziehen
  279. Heim die Schaafe,
  280. Und der Rinder
  281. Breitgestirnte
  282. Glatte Schaaren kommen brüllend,
  283. Die gewohnten Ställe füllend.
  284. Schwer herein
  285. Schwankt der Wagen,
  286. Kornbeladen,
  287. Bunt von Farben
  288. Auf den Garben
  289. Liegt der Kranz
  290. Und das junge
  291. Volk der Schnitter
  292. Fliegt zum Tanz.
  293. Markt und Straße
  294. Werden stiller,
  295. Um des Lichts gesell’ge Flamme
  296. Sammeln sich die Hausbewohner,
  297. Und das Stadtthor
  298. Schließt sich knarrend.
  299. Schwarz bedecket
  300. Sich die Erde,
  301. Doch den sichern Bürger schrecket
  302. Nicht die Nacht,
  303. Die den Bösen gräßlich wecket,
  304. Denn das Auge des Gesetzes wacht.
  305. Heil’ge Ordnung, segenreiche
  306. Himmelstochter, die das Gleiche
  307. Frey und leicht und freudig bindet,
  308. Die der Städte Bau gegründet,
  309. Die herein von den Gefilden
  310. Rief den ungesell’gen Wilden,
  311. Eintrat in der Menschen Hütten,
  312. Sie gewöhnt zu sanften Sitten
  313. Und das theuerste der Bande
  314. Wob, den Trieb zum Vaterlande!
  315. Tausend fleißge Hände regen,
  316. Helfen sich in munterm Bund
  317. Und in feurigem Bewegen
  318. Werden alle Kräfte kund.
  319. Meister rührt sich und Geselle
  320. In der Freyheit heil’gem Schutz,
  321. Jeder freut sich seiner Stelle,
  322. Bietet dem Verächter Trutz,
  323. Arbeit ist des Bürgers Zierde,
  324. Segen ist der Mühe Preis,
  325. Ehrt den König, seine Würde,
  326. Ehret uns der Hände Fleiß.
  327. Holder Friede,
  328. Süße Eintracht,
  329. Weilet, weilet
  330. Freundlich über dieser Stadt!
  331. Möge nie der Tag erscheinen,
  332. Wo des rauhen Krieges Horden
  333. Dieses stille Thal durchtoben,
  334. Wo der Himmel,
  335. Den des Abends sanfte Röthe
  336. Lieblich malt,
  337. Von der Dörfer, von der Städte
  338. Wildem Brande schrecklich strahlt!
  339. Nun zerbrecht mir das Gebäude,
  340. Seine Absicht hat’s erfüllt,
  341. Daß sich Herz und Auge weide
  342. An dem wohlgelungnen Bild.
  343. Schwingt den Hammer, schwingt,
  344. Bis der Mantel springt,
  345. Wenn die Glock’ soll auferstehen
  346. Muß die Form in Stücken gehen.
  347. Der Meister kann die Form zerbrechen
  348. Mit weiser Hand, zur rechten Zeit,
  349. Doch wehe, wenn in Flammenbächen
  350. Das glühnde Erz sich selbst befreyt!
  351. Blind wüthend mit des Donners Krachen
  352. Zersprengt es das geborstne Haus,
  353. Und wie aus offnem Höllenrachen
  354. Speyt es Verderben zündend aus;
  355. Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
  356. Da kann sich kein Gebild gestalten,
  357. Wenn sich die Völker selbst befreyn,
  358. Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.
  359. Weh, wenn sich in dem Schooß der Städte
  360. Der Feuerzunder still gehäuft,
  361. Das Volk, zerreissend seine Kette,
  362. Zur Eigenhilfe schrecklich greift!
  363. Da zerret an der Glocke Strängen
  364. Der Aufruhr, daß sie heulend schallt,
  365. Und nur geweiht zu Friedensklängen
  366. Die Losung anstimmt zur Gewalt.
  367. Freyheit und Gleichheit! hört man schallen,
  368. Der ruh’ge Bürger greift zur Wehr,
  369. Die Straßen füllen sich, die Hallen,
  370. Und Würgerbanden ziehn umher,
  371. Da werden Weiber zu Hyänen
  372. Und treiben mit Entsetzen Scherz,
  373. Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
  374. Zerreissen sie des Feindes Herz.
  375. Nichts heiliges ist mehr, es lösen
  376. Sich alle Bande frommer Scheu,
  377. Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
  378. Und alle Laster walten frey.
  379. Gefährlich ist’s den Leu zu wecken,
  380. Und grimmig ist des Tigers Zahn,
  381. Jedoch der schrecklichste der Schrecken
  382. Das ist der Mensch in seinem Wahn.
  383. Weh denen, die dem Ewigblinden
  384. Des Lichtes Himmelsfackel leihn!
  385. Sie leuchtet nicht, sie kann nur zünden
  386. Und äschert Stadt’ und Länder ein.
  387. Freude hat mir Gott gegeben!
  388. Sehet! wie ein goldner Stern
  389. Aus der Hülse, blank und eben,
  390. Schält sich der metallne Kern.
  391. Von dem Helm zum Kranz
  392. Spielt’s wie Sonnenglanz,
  393. Auch des Wappens nette Schilder
  394. Loben den erfahrnen Bilder.
  395. Herein! herein!
  396. Gesellen alle, schließt den Reihen
  397. Daß wir die Glocke taufend weihen,
  398. Concordia soll ihr Name seyn,
  399. Zur Eintracht, zu herzinnigem Vereine
  400. Versammle sie die liebende Gemeine.
  401. Und dies sey fortan ihr Beruf,
  402. Wozu der Meister sie erschuf:
  403. Hoch überm niedern Erdenleben
  404. Soll sie in blauem Himmelszelt
  405. Die Nachbarin des Donners schweben
  406. Und gränzen an die Sternenwelt,
  407. Soll eine Stimme seyn von oben,
  408. Wie der Gestirne helle Schaar,
  409. Die ihren Schöpfer wandelnd loben
  410. Und führen das bekränzte Jahr.
  411. Nur ewigen und ernsten Dingen
  412. Sey ihr metallner Mund geweiht,
  413. Und stündlich mit den schnellen Schwingen
  414. Berühr’ im Fluge sie die Zeit,
  415. Dem Schicksal leihe sie die Zunge,
  416. Selbst herzlos, ohne Mitgefühl,
  417. Begleite sie mit ihrem Schwunge
  418. Des Lebens wechselvolles Spiel.
  419. Und wie der Klang im Ohr vergehet,
  420. Der mächtig tönend ihr entschallt,
  421. So lehre sie, daß nichts bestehet,
  422. Daß alles Irdische verhallt.
  423. Jetzo mit der Kraft des Stranges
  424. Wiegt die Glock’ mir aus der Gruft.
  425. Daß sie in das Reich des Klanges
  426. Steige, in die Himmelsluft.
  427. Ziehet, ziehet, hebt!
  428. Sie bewegt sich, schwebt.
  429. Freude dieser Stadt bedeute,
  430. Friede sey ihr erst Geläute.
Das Lied von der Glocke von Friedrich Schiller wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

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