Das Siegesfest

eine Ballade von Friedrich Schiller
  1. Priams Feste war gesunken,
  2. Troja lag in Schutt und Staub,
  3. Und die Griechen, siegestrunken,
  4. Reich beladen mit dem Raub,
  5. Saßen auf den hohen Schiffen,
  6. Längs des Hellespontos Strand,
  7. Auf der frohen Fahrt begriffen
  8. Nach dem schönen Griechenland.
  9. Stimmet an die frohen Lieder!
  10. Denn dem väterlichen Herd
  11. Sind die Schiffe zugekehrt,
  12. Und zur Heimath geht es wieder.
  13. Und in langen Reihen, klagend
  14. Saß der Trojerinnen Schaar,
  15. Schmerzvoll an die Brüste schlagend,
  16. Bleich, mit aufgelöstem Haar.
  17. In das wilde Fest der Freuden
  18. Mischten sie den Wehgesang,
  19. Weinend um das eigne Leiden
  20. In des Reiches Untergang.
  21. Lebe wohl, geliebter Boden!
  22. Von der süßen Heimath fern
  23. Folgen wir dem fremden Herrn.
  24. Ach, wie glücklich sind die Todten!
  25. Und den hohen Göttern zündet
  26. Kalchas jetzt das Opfer an;
  27. Pallas, die die Städte gründet
  28. Und zertrümmert, ruft er an
  29. Und Neptun, der um die Länder
  30. Seinen Wogengürtel schlingt,
  31. Und den Zeus, den Schreckensender,
  32. Der die Ägis grausend schwingt.
  33. Ausgestritten, ausgerungen
  34. Ist der lange, schwere Streit,
  35. Ausgefüllt der Kreis der Zeit
  36. Und die große Stadt bezwungen.
  37. Atreus‘ Sohn, der Fürst der Schaaren,
  38. Übersah der Völker Zahl,
  39. Die mit ihm gezogen waren
  40. Einst in des Skamanders Thal.
  41. Und des Kummers finstre Wolke
  42. Zog sich um des Königs Blick;
  43. Von dem hergeführten Volke
  44. Bracht‘ er Wen’ge nur zurück.
  45. Drum erhebe frohe Lieder,
  46. Wer die Heimath wieder sieht,
  47. Wem noch frisch das Leben blüht!
  48. Denn nicht alle kehren wieder.
  49. Alle nicht, die wieder kehren,
  50. Mögen sich des Heimzugs freun,
  51. An den häuslichen Altären
  52. Kann der Mord bereitet sein.
  53. Mancher fiel durch Freundestücke,
  54. Den die blut’ge Schlacht verfehlt!
  55. Sprach’s Ulyß mit Warnungsblicke,
  56. Von Athenens Geist beseelt.
  57. Glücklich, wem der Gattin Treue
  58. Rein und keusch das Haus bewahrt!
  59. Denn das Weib ist falscher Art,
  60. Und die Arge liebt das Neue.
  61. Und des frisch erkämpften Weibes
  62. Freut sich der Atrid und strickt
  63. Um den Reiz des schönen Leibes
  64. Seine Arme hochbeglückt.
  65. Böses Werk muß untergehen,
  66. Rache folgt der Frevelthat;
  67. Denn gerecht in Himmelshöhen
  68. Waltet des Kroniden Rath.
  69. Böses muß mit Bösem enden;
  70. An dem frevelnden Geschlecht
  71. Rächet Zeus das Gastesrecht,
  72. Wägend mit gerechten Händen.
  73. Wohl dem Glücklichen mag’s ziemen,
  74. Ruft Oileus‘ tapfrer Sohn,
  75. Die Regierenden zu rühmen
  76. Auf dem hohen Himmelsthron!
  77. Ohne Wahl vertheilt die Gaben,
  78. Ohne Billigkeit das Glück;
  79. Denn Patroklus liegt begraben,
  80. Und Thersites kommt zurück!
  81. Weil das Glück aus seinen Tonnen
  82. Die Geschicke blind verstreut,
  83. Freue sich und jauchze heut,
  84. Wer das Lebensloos gewonnen.
  85. Ja, der Krieg verschlingt die Besten!
  86. Ewig werde dein gedacht,
  87. Bruder, bei der Griechen Festen,
  88. Der ein Thurm war in der Schlacht.
  89. Da der Griechen Schiffe brannten,
  90. War in deinem Arm das Heil;
  91. Doch dem Schlauen, Vielgewandten
  92. War der schöne Preis zu Theil.
  93. Friede deinen heil’gen Resten!
  94. Nicht der Feind hat dich entrafft,
  95. Ajax fiel durch Ajax‘ Kraft.
  96. Ach, der Zorn verderbt die Besten!
  97. Dem Erzeuger jetzt, dem großen,
  98. Gießt Neoptolem des Weins;
  99. Unter allen ird’schen Loosen,
  100. Hoher Vater, preis‘ ich deins.
  101. Von des Lebens Gütern allen
  102. Ist der Ruhm das höchste doch;
  103. Wenn der Leib in Staub zerfallen,
  104. Lebt der große Name noch.
  105. Tapfrer, deines Ruhmes Schimmer
  106. Wird unsterblich sein im Lied;
  107. Denn das ird’sche Leben flieht,
  108. Und die Todten dauern immer.
  109. Weil des Liedes Stimmen schweigen
  110. Von dem überwundnen Mann,
  111. So will ich für Hektor zeugen,
  112. Hub der Sohn des Tydeus an, –
  113. Der für seine Hausaltäre
  114. Kämpfend, ein Beschirmer, fiel –
  115. Krönt den Sieger größre Ehre,
  116. Ehret ihn das schönre Ziel!
  117. Der für seine Hausaltäre
  118. Kämpfend sank, ein Schirm und Hort,
  119. Auch in Feindes Munde fort
  120. Lebt ihm seines Namens Ehre.
  121. Nestor jetzt, der alte Zecher,
  122. Der drei Menschenalter sah,
  123. Reicht den laubumkränzten Becher
  124. Der bethränten Hekuba:
  125. Trink ihn aus, den Trank der Labe,
  126. Und vergiß den großen Schmerz!
  127. Wundervoll ist Bacchus‘ Gabe,
  128. Balsam fürs zerrißne Herz.
  129. Trink ihn aus, den Trank der Labe,
  130. Und vergiß den großen Schmerz!
  131. Balsam fürs zerrißne Herz,
  132. Wundervoll ist Bacchus‘ Gabe.
  133. Denn auch Niobe, dem schweren
  134. Zorn der Himmlischen ein Ziel,
  135. Kostete die Frucht der Ähren
  136. Und bezwang das Schmerzgefühl.
  137. Denn so lang die Lebensquelle
  138. Schäumet an der Lippen Rand,
  139. Ist der Schmerz in Lethes Welle
  140. Tief versenkt und festgebannt!
  141. Denn so lang die Lebensquelle
  142. An der Lippen Rande schäumt,
  143. Ist der Jammer weggeträumt,
  144. Fortgespült in Lethes Welle.
  145. Und von ihrem Gott ergriffen,
  146. Hub sich jetzt die Seherin,
  147. Blickte von den hohen Schiffen
  148. Nach dem Rauch der Heimath hin:
  149. Rauch ist alles ird’sche Wesen;
  150. Wie des Dampfes Säule weht,
  151. Schwinden alle Erdengrößen,
  152. Nur die Götter bleiben stät.
  153. Um das Roß des Reiters schweben,
  154. Um das Schiff die Sorgen her;
  155. Morgen können wir’s nicht mehr,
  156. Darum laßt uns heute leben!
Das Siegesfest von Friedrich Schiller wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/schiller/das-siegesfest/