Die Bürgschaft

eine Ballade von Friedrich Schiller
  1. Zu Dionys dem Tirannen schlich
  2. Möros, den Dolch im Gewande,
  3. Ihn schlugen die Häscher in Bande.
  4. Was wolltest du mit dem Dolche, sprich!
  5. Entgegnet ihm finster der Wütherich.
  6. „Die Stadt vom Tyrannen befreien!“
  7. Das sollst du am Kreutze bereuen.
  8. Ich bin, spricht jener, zu sterben bereit,
  9. Und bitte nicht um mein Leben,
  10. Doch willst du Gnade mir geben,
  11. Ich flehe dich um drey Tage Zeit,
  12. Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit,
  13. Ich lasse den Freund dir als Bürgen,
  14. Ihn magst du, entrinn ich, erwürgen.
  15. Da lächelt der König mit arger List,
  16. Und spricht nach kurzem Bedenken:
  17. Drey Tage will ich dir schenken.
  18. Doch wisse! Wenn sie verstrichen die Frist,
  19. Eh du zurück mir gegeben bist,
  20. So muß er statt deiner erblassen,
  21. Doch dir ist die Strafe erlassen.
  22. Und er kommt zum Freunde: „der König gebeut,
  23. Daß ich am Kreutz mit dem Leben
  24. Bezahle das frevelnde Streben,
  25. Doch will er mir gönnen drey Tage Zeit,
  26. Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit,
  27. So bleib du dem König zum Pfande,
  28. Bis ich komme, zu lösen die Bande.
  29. Und schweigend umarmt ihn der treue Freund,
  30. Und liefert sich aus dem Tyrannen,
  31. Der andere ziehet von dannen.
  32. Und ehe das dritte Morgenroth scheint,
  33. Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,
  34. Eilt heim mit sorgender Seele,
  35. Damit er die Frist nicht verfehle.
  36. Da gießt unendlicher Regen herab,
  37. Von den Bergen stürzen die Quellen,
  38. Und die Bäche, die Ströme schwellen.
  39. Und er kommt an’s Ufer mit wanderndem Stab,
  40. Da reisset die Brücke der Strudel hinab,
  41. Und donnernd sprengen die Wogen
  42. Des Gewölbes krachenden Bogen.
  43. Und trostlos irrt er an Ufers Rand,
  44. Wie weit er auch spähet und blicket
  45. Und die Stimme, die rufende, schicket;
  46. Da stößet kein Nachen vom sichern Strand,
  47. Der ihn setze an das gewünschte Land,
  48. Kein Schiffer lenket die Fähre,
  49. Und der wilde Strom wird zum Meere.
  50. Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht,
  51. Die Hände zum Zeus erhoben:
  52. O hemme des Stromes Toben!
  53. Es eilen die Stunden, im Mittag steht
  54. Die Sonne und wenn sie niedergeht,
  55. Und ich kann die Stadt nicht erreichen,
  56. So muß der Freund mir erbleichen.
  57. Doch wachsend erneut sich des Stromes Wuth,
  58. Und Welle auf Welle zerrinnet,
  59. Und Stunde an Stunde entrinnet,
  60. Da treibet die Angst ihn, da faßt er sich Muth
  61. Und wirft sich hinein in die brausende Flut,
  62. Und theilt mit gewaltigen Armen
  63. Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.
  64. Und gewinnt das Ufer und eilet fort,
  65. Und danket dem rettenden Gotte,
  66. Da stürzet die raubende Rotte
  67. Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,
  68. Den Pfad ihm sperrend, und schnaubet Mord
  69. Und hemmet des Wanderers Eile
  70. Mit drohend geschwungener Keule.
  71. Was wollt ihr? ruft er für Schrecken bleich,
  72. Ich habe nichts als mein Leben,
  73. Das muß ich dem Könige geben!
  74. Und entreißt die Keule dem nächsten gleich:
  75. Um des Freundes Willen erbarmet euch!
  76. Und drey, mit gewaltigen Streichen,
  77. Erlegt er, die andern entweichen.
  78. Und die Sonne versendet glühenden Brand
  79. Und von der unendlichen Mühe
  80. Ermattet sinken die Knie:
  81. O hast du mich gnädig aus Räubershand,
  82. Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land,
  83. Und soll hier verschmachtend verderben,
  84. Und der Freund mir, der liebende, sterben!
  85. Und horch! da sprudelt es silberhell
  86. Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen,
  87. Und stille hält er zu lauschen,
  88. Und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell,
  89. Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell,
  90. Und freudig bückt er sich nieder,
  91. Und erfrischet die brennenden Glieder.
  92. Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün,
  93. Und mahlt auf den glänzenden Matten
  94. Der Bäume gigantische Schatten,
  95. Und zwey Wanderer sieht er die Straße ziehn,
  96. Will eilenden Laufes vorüber fliehn,
  97. Da hört er die Worte sie sagen:
  98. Jetzt wird er ans Kreutz geschlagen.
  99. Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß,
  100. Ihn jagen der Sorge Qualen,
  101. Da schimmern in Abendroths Strahlen
  102. Von ferne die Zinnen von Syrakus,
  103. Und entgegen kommt ihm Philostratus,
  104. Des Hauses redlicher Hüter,
  105. Der erkennet entsetzt den Gebieter:
  106. Zurück! du rettest den Freund nicht mehr,
  107. So rette das eigene Leben!
  108. Den Tod erleidet er eben.
  109. Von Stunde zu Stunde gewartet’ er
  110. Mit hoffender Seele der Wiederkehr,
  111. Ihm konnte den muthigen Glauben
  112. Der Hohn des Tirannen nicht rauben.
  113. Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht
  114. Ein Retter willkommen erscheinen,
  115. So soll mich der Tod ihm vereinen.
  116. Deß rühme der blutge Tirann sich nicht,
  117. Daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht,
  118. Er schlachte der Opfer zweye,
  119. Und glaube an Liebe und Treue.
  120. Und die Sonne geht unter, da steht er am Thor
  121. Und sieht das Kreutz schon erhöhet,
  122. Das die Menge gaffend umstehet,
  123. An dem Seile schon zieht man den Freund empor,
  124. Da zertrennt er gewaltig den dichten Chor:
  125. „Mich Henker! ruft er, erwürget,
  126. Da bin ich, für den er gebürget!“
  127. Und Erstaunen ergreifet das Volk umher,
  128. In den Armen liegen sich beide,
  129. Und weinen für Schmerzen und Freude.
  130. Da sieht man kein Auge thränenleer,
  131. Und zum Könige bringt man die Wundermähr,
  132. Der fühlt ein menschliches Rühren,
  133. Läßt schnell vor den Thron sie führen.
  134. Und blicket sie lange verwundert an,
  135. Drauf spricht er: Es ist euch gelungen,
  136. Ihr habt das Herz mir bezwungen,
  137. Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn,
  138. So nehmet auch mich zum Genossen an,
  139. Ich sey, gewährt mir die Bitte,
  140. In eurem Bunde der dritte.

Hintergrund

Die Bürgschaft ist eine Ballade von Friedrich Schiller und entstand im Sommer des Jahres 1798. Die Ballade wurde folglich nach dem Balladenjahr (1797) verfasst, in welchem sich Goethe und Schiller eingehend mit der Ballade befassten.

Die Bürgschaft entstand in etwa zur gleichen Zeit wie Schillers Der Kampf mit dem Drachen und wurde ebenso erstmalig im Musenalmanach von 1799 veröffentlicht und zählt neben Handschuh sowie dem Lied von der Glocke und den Kranichen des Ibykus zu den bekanntesten Balladen des Dichters.

Der Ballade liegt eine antike Erzählung aus dem 4. Jahrhundert vor Christus um die zwei Helden Damon und Phintias zugrunde. Die beiden waren Angehörige einer Gemeinschaft, die auf den Philosophen Pythagoras zurückgeht: die Pythagoreer.

Bei den Pythagoreern wurde großer Wert auf Freundschaft gelegt. Das bedeutete vor allem unbedingtes und gegenseitiges Vertrauen sowie vorbehaltlose Solidarität in Notlagen. Manche von ihnen verstanden darunter eine unbedingte Loyalität nicht nur zu ihren persönlichen Freunden, sondern zu jedem Pythagoreer.

Auf ebendieses Freundschaftsideal gehen zahlreiche Anekdoten zurück, wovon die um Damon und Phintias vermutlich die bekannteste ist. Interessant ist, dass Schiller die Namen in der Bürgschaft vertauschte. In der ursprünglichen Erzählung ist es nicht Damon, sondern Phintias, der aufgrund eines Komplotts gegen Dionysios verurteilt wurde, aber die Erlaubnis erhielt, vor der Hinrichtung seine persönlichen Angelegenheiten zu regeln, da sich Damon als Geisel für die Rückkehr verbürgte.

Wie auch im Balladentext, erscheint Phintias rechtzeitig, um die Strafe anzutreten. Diese starke Loyalität der beiden Freunde imponiert dem Tyrannen so stark, dass er Phintias begnadigt und vergeblich darum bittet, selbst Teil des Bundes zu werden.

Dieser Detail kann spannend für die Interpretation oder Auseinandersetzung mit der Bürgschaft sein. Es geht nämlich nicht nur um die Freundschaft zweier Männer, sondern auch um das idealisierte Freundschaftsbild der Pythagoreer.

Es ist anzunehmen, dass die ursprüngliche Erzählung trotz aller Ausschmückungen und Verarbeitungen in der Kunst auf wahren Begebenheiten beruht und dass es sich bei Damon und Phintias um historische Personen handelt. Das Werk hat somit einen wahren Kern und wurde angeblich mündlich von Dionysios selbst überliefert. Aufgeschrieben wurde es dann erstmals vom Philosophen Aristoxenos.

Schiller kannte die Erzählung in der Version des Hyginus Mythographus, in welcher die Freunde Moeros und Selinuntius heißen. Deshalb ist in der ersten Fassung der Bürgschaft von Möros die Rede, was sich mit der Bearbeitung 1804 änderte.

Inhaltsangabe

Die Ballade Die Bürgschaft von Friedrich Schiller erzählt vom unbedingten und gegenseitigen Vertrauen zweier Freunde, das letzten Endes sogar eine geplante Hinrichtung überwindet.

Diese Inhaltsangabe wird derzeit überarbeitet.
Die Bürgschaft von Friedrich Schiller wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/schiller/die-buergschaft/