Die junge Magd

eine Ballade von Georg Trakl

Ludwig von Ficker zugeeignet

1

  1. Oft am Brunnen, wenn es dämmert,
  2. Sieht man sie verzaubert stehen
  3. Wasser schöpfen, wenn es dämmert.
  4. Eimer auf und nieder gehen.
  5. In den Buchen Dohlen flattern
  6. Und sie gleichet einem Schatten.
  7. Ihre gelben Haare flattern
  8. Und im Hofe schrein die Ratten.
  9. Und umschmeichelt von Verfalle
  10. Senkt sie die entzundenen Lider.
  11. Dürres Gras neigt im Verfalle
  12. Sich zu ihren Füßen nieder.
  13. 2

  14. Stille schafft sie in der Kammer
  15. Und der Hof liegt längst verödet.
  16. Im Hollunder vor der Kammer
  17. Kläglich eine Amsel flötet.
  18. Silbern schaut ihr Bild im Spiegel
  19. Fremd sie an im Zwielichtscheine
  20. Und verdämmert fahl im Spiegel
  21. Und ihr graut vor seiner Reine.
  22. Traumhaft singt ein Knecht im Dunkel
  23. Und sie starrt von Schmerz geschüttelt.
  24. Röte träufelt durch das Dunkel
  25. Jäh am Tor der Südwind rüttelt.
  26. 3

  27. Nächtens übern kahlen Anger
  28. Gaukelt sie in Fieberträumen.
  29. Mürrisch greint der Wind im Anger
  30. Und der Mond lauscht aus den Bäumen.
  31. Balde rings die Sterne bleichen
  32. Und ermattet von Beschwerde
  33. Wächsern ihre Wangen bleichen.
  34. Fäulnis wittert aus der Erde.
  35. Traurig rauscht das Rohr im Tümpel
  36. Und sie friert in sich gekauert.
  37. Fern ein Hahn kräht. Übern Tümpel
  38. Hart und grau der Morgen schauert.
  39. 4

  40. In der Schmiede dröhnt der Hammer
  41. Und sie huscht am Tor vorüber.
  42. Glührot schwingt der Knecht den Hammer
  43. Und sie schaut wie tot hinüber.
  44. Wie im Traum trifft sie ein Lachen;
  45. Und sie taumelt in die Schmiede,
  46. Scheu geduckt vor seinem Lachen,
  47. Wie der Hammer hart und rüde.
  48. Hell versprühn im Raum die Funken
  49. Und mit hilfloser Geberde
  50. Hascht sie nach den wilden Funken
  51. Und sie stürzt betäubt zur Erde.
  52. 5

  53. Schmächtig hingestreckt im Bette
  54. Wacht sie auf voll süßem Bangen
  55. Und sie sieht ihr schmutzig Bette
  56. Ganz von goldnem Licht verhangen,
  57. Die Reseden dort am Fenster
  58. Und den bläulich hellen Himmel.
  59. Manchmal trägt der Wind ans Fenster
  60. Einer Glocke zag Gebimmel.
  61. Schatten gleiten übers Kissen,
  62. Langsam schlägt die Mittagsstunde
  63. Und sie atmet schwer im Kissen
  64. Und ihr Mund gleicht einer Wunde.
  65. 6

  66. Abends schweben blutige Linnen,
  67. Wolken über stummen Wäldern,
  68. Die gehüllt in schwarze Linnen.
  69. Spatzen lärmen auf den Feldern.
  70. Und sie liegt ganz weiß im Dunkel.
  71. Unterm Dach verhaucht ein Girren.
  72. Wie ein Aas in Busch und Dunkel
  73. Fliegen ihren Mund umschwirren.
  74. Traumhaft klingt im braunen Weiler
  75. Nach ein Klang von Tanz und Geigen,
  76. Schwebt ihr Antlitz durch den Weiler,
  77. Weht ihr Haar in kahlen Zweigen.
Die junge Magd von Georg Trakl wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/trakl/die-junge-magd/