Das Hirtenfeuer

eine Ballade von Annette von Droste-Hülshoff
  1. Dunkel, Dunkel im Moor,
  2. Über der Haide Nacht,
  3. Nur das rieselnde Rohr
  4. Neben der Mühle wacht,
  5. Und an des Rades Speichen
  6. Schwellende Tropfen schleichen.
  7. Unke kauert im Sumpf,
  8. Igel im Grase duckt,
  9. In dem modernden Stumpf
  10. Schlafend die Kröte zuckt,
  11. Und am sandigen Hange
  12. Rollt sich fester die Schlange.
  13. Was glimmt dort hinterm Ginster,
  14. Und bildet lichte Scheiben?
  15. Nun wirft es Funkenflinster,
  16. Die löschend niederstäuben;
  17. Nun wieder alles dunkel –
  18. Ich hör des Stahles Picken,
  19. Ein Knistern, ein Gefunkel –
  20. Und auf die Flammen zücken.
  21. Und Hirtenbuben hocken
  22. Im Kreis‘ umher, sie strecken
  23. Die Hände, Torfes Brocken
  24. Seh ich die Lohe lecken;
  25. Da bricht ein starker Knabe
  26. Aus des Gestrippes Windel,
  27. Und schleifet nach im Trabe
  28. Ein wüst Wacholderbündel.
  29. Er läßt’s am Feuer kippen –
  30. Hei, wie die Buben johlen,
  31. Und mit den Fingern schnippen
  32. Die Funken-Girandolen!
  33. Wie ihre Zipfelmützen
  34. Am Ohre lustig flattern,
  35. Und wie die Nadeln spritzen,
  36. Und wie die Aeste knattern!
  37. Die Flamme sinkt, sie hocken
  38. Auf’s Neu‘ umher im Kreise,
  39. Und wieder fliegen Brocken,
  40. Und wieder schwehlt es leise;
  41. Glührothe Lichter streichen
  42. An Haarbusch und Gesichte,
  43. Und schier Dämonen gleichen
  44. Die kleinen Haidewichte.
  45. Der da, der Unbeschuh’te,
  46. Was streckt er in das Dunkel
  47. Den Arm wie eine Ruthe,
  48. Im Kreise welch‘ Gemunkel?
  49. Sie spähn wie junge Geier
  50. Von ihrer Ginsterschütte:
  51. Hah, noch ein Hirtenfeuer,
  52. Recht an des Dammes Mitte!
  53. Man sieht es eben steigen
  54. Und seine Schimmer breiten,
  55. Den wirren Funkenreigen
  56. Ueber’n Wacholder gleiten;
  57. Die Buben flüstern leise,
  58. Sie räuspern ihre Kehlen,
  59. Und alte Haideweise
  60. Verzittert durch die Schmehlen.
  61. „Helo, heloe!
  62. Heloe, loe!
  63. Komm du auf uns’re Haide,
  64. Wo ich meine Schäflein weide,
  65. Komm, o komm in unser Bruch,
  66. Da gibt’s der Blümelein genug, –
  67. Helo, heloe!“
  68. Die Knaben schweigen, lauschen nach dem Tann,
  69. Und leise durch den Ginster zieht’s heran:
  70. Gegenstrophe

  71. „Helo, heloe!
  72. Ich sitze auf dem Walle,
  73. Meine Schäflein schlafen alle,
  74. Komm, o komm in unsern Kamp,
  75. Da wächst das Gras wie Brahm so lang! –
  76. Helo, heloe!
  77. Heloe, loe!“
Das Hirtenfeuer von Annette von Droste-Hülshoff wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/droste-huelshoff/das-hirtenfeuer/