Die Schnitterin

eine Ballade von Gustav Falke
  1. War einst ein Knecht, einer Witwe Sohn,
  2. Der hatte sich schwer vergangen.
  3. Da sprach sein Herr: „Du bekommst deinen Lohn,
  4. Morgen musst du hangen.“
  5. Als das seiner Mutter kund getan,
  6. Auf die Erde fiel sie mit Schreien:
  7. „O, lieber Herr Graf, und hört mich an,
  8. Er ist der letzte von dreien.
  9. Den ersten schluckte die schwarze See,
  10. Seinen Vater schon musste sie haben,
  11. Dem andern haben in Schonens Schnee
  12. Eure schwedischen Feinde begraben.
  13. Und lasst ihr mir den letzten nicht
  14. Und hat er sich vergangen,
  15. Lasst meines Alters Trost und Licht
  16. Nicht schmählich am Galgen hangen!“
  17. Die Sonne hell im Mittag stand,
  18. Der Graf sass hoch zu Pferde,
  19. Das jammernde Weib hielt sein Gewand
  20. Und schrie vor ihm auf der Erde.
  21. Da rief er: „Gut, eh die Sonne geht,
  22. Kannst du drei Aecker mir schneiden,
  23. Drei Aecker Gerste, dein Sohn besteht,
  24. Den Tod soll er nicht leiden.“
  25. So trieb er Spott, hart gelaunt,
  26. Und ist seines Weges geritten.
  27. Am Abend aber, der Strenge staunt,
  28. Drei Aecker waren geschnitten.
  29. Was stolz im Halm stand über Tag,
  30. Sank hin, er musst es schon glauben.
  31. Und dort, was war’s, was am Feldrain lag?
  32. Sein Schimmel stieg mit Schnauben.
  33. Drei Aecker Gerste, ums Abendrot,
  34. Lagen in breiten Schwaden,
  35. Daneben die Mutter, und die war tot.
  36. So kam der Knecht zu Gnaden.
Die Schnitterin von Gustav Falke wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/falke/die-schnitterin/