Balladenurteil

Als Balladenurteil wird die Moral, Aussage oder Lehre einer Ballade bezeichnet. Ein solch moralisches Urteil ist nicht in jeder Ballade zu finden, sondern eher typisch für die Fabel. Der Begriff hat keinen wissenschaftlichen Ursprung und ist in der Regel eher Teil des Deutschunterrichts.

Der Begriff wird meist gebraucht, wenn die Ballade im Unterricht eingeführt wird, um den Aufbau und das Besondere der Gedichtform vereinfacht darzustellen. Es ist ratsam, den möglichen Deutungsraum in der späteren Auseinandersetzung wieder zu öffnen und nicht zu unterstellen, dass jede Ballade mit einem eindeutigen Balladenurteil endet.

Die Verwendung des Wortes ist folglich nicht empfehlenswert, da es vermittelt, dass jede Ballade auf eine abschließenden Moral hinausläuft. Allerdings sind Balladen meist vielschichtiger, als dass sie sich auf ein eindeutiges Balladenurteil herunterbrechen ließen.

Beispiele

Ballade Balladenurteil
Der Zauberlehrling(Goethe, 1797) Der Einzelne sollte die eigenen Fähigkeiten nicht überschätzen, sich dieser bewusst sein und stets bescheiden bleiben. Im übertragenen Sinne lässt sich festhalten, dass es gefährlich ist, überheblich zu sein und die Ratschläge des Lehrenden zu ignorieren.
Der Handschuh(Schiller, 1797) Das Einfordern von Tapferkeit als Liebesbeweis ist schändlich. Eine Person, die eine andere liebt, sollte diese niemals mutwillig in Gefahr bringen, nur um sich unterhalten zu lassen. Oder anders ausgedrückt: Lass dich nicht ausnutzen und vorführen!
Die Rache(Uhland, 1810) Es ist nicht ratsam, sich über seinen Lehrer und Meister hinwegzusetzen. Wer sich über seinen Meister hinwegsetzt und selbstsüchtig oder aufgrund von Neid handelt, wird scheitern und dafür vom Schicksal bestraft.
John Maynard(Fontane, 1886) Das Wirken und Handeln eines Menschen kann bedeutsam für eine Gruppe oder gar die Gesellschaft sein. Der Steuermann John Maynard ermöglichte die Rettung aller, indem er die Verantwortung übernahm, die Menschen beruhigte und sicher nach Buffalo brachte, während er sich selbst opferte.

Uneindeutige Urteile

Die Balladen aus der Beispiel-Tabelle werden häufig genutzt, um ein eindeutiges Balladenurteil zu bilden. Lassen wir diese allerdings hinter uns, wird es schwierig, ein klares Urteil zu finden.

Ein Beispiel:

Im Erlkönig von Goethe reiten Vater und Sohn durch die Nacht. Der Sohn fiebert und meint, den unheimlichen Erlkönig in den Bäumen zu sehen. Der Vater versucht, den Sohn zu beruhigen und erreicht den rettenden Gasthof. Das Kind ist währenddessen verstorben.

Versuchen wir anhand dieser Ballade, ein Balladenurteil zu bilden, begeben wir uns auf dünnes Eis. So hängt es davon ab, wie wir das Erzählte interpretieren. Sehen wir nur ein krankes Kind und seinen Vater? Handelt es sich um ein pubertierendes Kind, das mit der Kindheit bricht oder geht es im Text um den sexuellen Missbrauch des Jungen?

Im Grunde sind alle Lesarten denkbar …

Dennoch ist es kaum möglich, ein eindeutiges Balladenurteil zu fällen, außer vielleicht die naheliegende Annahme, dass man „so spät [bei] Nacht und Wind“ einfach mal zu Hause bleiben sollte 😉