Johanna Sebus

eine Ballade von Johann Wolfgang von Goethe

Zum Andenken der siebzehnjährigen Schönen, Guten, aus dem Dorfe Brienen, die am 13. Januar 1809 bei dem Eisgange des Rheins und dem großen Bruche des Dammes von Cleverham, Hilfe reichend, unterging.

  1. Der Damm zerreißt, das Feld erbraust,Parataxe (V1&V2)
    Parallelismus
    a
  2. Die Fluten spülen, die Fläche saust.Parataxe (V1&V2)
    Parallelismus
    a
  3.         »Ich trage dich, Mutter, durch die Flut,b
  4.         Noch reicht sie nicht hoch, ich wate gut.« –b
  5.         »Auch uns bedenke, bedrängt wir sind,c
  6.         Die Hausgenossin, drei arme Kind!c
  7.         Die schwache Frau! . . . Du gehst davon!« –d
  8.         Sie trägt die Mutter durchs Wasser schon.d
  9.         »Zum Bühle da rettet euch! harret derweil:e
  10.         Gleich kehr‘ ich zurück, uns allen ist Heil.e
  11.         Zum Bühl ist’s noch trocken und wenige Schritt;f
  12.         Doch nehmt auch mir meine Ziege mit!«f
  13. Der Damm zerschmilzt, das Feld erbraust,Parataxe (V13&V14)
    Parallelismus
    a
  14. Die Fluten wühlen, die Fläche saust.Parataxe (V13&V14)
    Parallelismus
    a
  15.         Sie setzt die Mutter auf sicheres Land;b
  16.         Schön Suschen, gleich wieder zur Flut gewandt.b
  17.         »Wohin, wohin,Geminatio die Breite schwoll;c
  18.         Des Wassers ist hüben und drübenHomoioteleuton (hüben – drüben) voll.c
  19.         Verwegen ins Tiefe willst du hinein!« –d
  20.         »Sie sollen und müssen gerettet sein.«d
  21. Der Damm verschwindet, die Welle braust,Parallelismusa
  22. Eine Meereswoge, sie schwankt und saust.a
  23.         Schön Suschen schreitet gewohnten Steg,Alliteration (Schön Suschen schreitet […] Steg)b
  24.         Umströmt auch gleitet sie nicht vom Weg,b
  25.         Erreicht den Bühl und die Nachbarin;c
  26.         Doch der und den Kindern kein Gewinn!c
  27. Der Damm verschwand, ein Meer erbraust’s,Parallelismusa
  28. Den kleinen Hügel im Kreis umsaust’s.a
  29.         Da gähnetPersonifikation und wirbelt der schäumende SchlundAlliteration(schäumende Schlund)b
  30.         Und ziehet die Frau mit den Kindern zu Grund;b
  31.         Das Horn der Ziege erfaßt das ein‘,c
  32.         So sollten sie alle verloren sein!c
  33.         Schön Suschen steht noch strack und gut:Alliteration (Schön Suschen steht […] strack)d
  34.         Wer rettet das junge, das edelsteCorrectio Blut!d
  35.         Schön Suschen steht noch wie ein Stern,Alliteration (Schön Suschen steht […] Stern)
    Vergleich (wie ein Stern)
    e
  36.         Doch alle Werber sind alle fern.e
  37.         Rings um sie her ist Wasserbahn,f
  38.         Kein Schifflein schwimmet zu ihr heran.f
  39.         Noch einmal blickt sie zum Himmel hinauf,g
  40.         Da nehmen die schmeichelnden Fluten sie auf.Euphemismus für ertrinkeng
  41. Kein Damm, kein Feld! nur hier und dorta
  42. Bezeichnet ein Baum, ein Turm den Ort.a
  43.         Bedeckt ist alles mit Wasserschwall;b
  44.         Doch Suschens Bild schwebt überall.b
  45.         Das Wasser sinkt, das Land erscheintParallelismusc
  46.         UndAnapher zu V47 überall wird schön Suschen beweint. –c
  47.         UndAnapher zu V46 dem sei, wer’s nicht singt und sagt,d
  48.         Im Leben und Tod nicht nachgefragt!d

Hintergrund

Johanna Sebus ist eine Ballade von Johann Wolfgang von Goethe, die der Dichter im Jahr 1809 zum Andenken an den selbstlosen Einsatz und Tod der jungen Johanna Sebus verfasste. Johanna kam bei einer Flutkatastrophe ums Leben.

Am 13. Januar 1809 - es war die Zeit der Eisschmelze - trat der Rhein über die Ufer, wobei aufgrund der Wassermassen der Damm in Cleverham zerstört wurde. So entwickelte sich der Fluss zu einem verheerenden Strom, welchem einzelne Gehöfte und nicht zuletzt das Dorf Brienen bei Kleve schutzlos ausgeliefert waren.[1]

An diesem Tag watet die 16-jährige[2] Johanna Sebus durch das Wasser, um ihre Mutter sowie die Nachbarin samt der Kinder aus den Fluten zu retten. Tatsächlich schafft sie es, die Mutter ans Ufer zu tragen und will nun die Nachbarin holen.

Währenddessen hatte sich ein reißender Strom entwickelt und es wäre lebensmüde, erneut ins Wasser zu steigen. Johanna lässt sich nicht beirren, ruft »Sie sollen und sie müssen gerettet sein!« und steigt erneut in die Fluten. Johannas Leichnam wird erst beim Abfließen des Wassers gefunden - die junge Frau ertrank an diesem Tag.

Ba­ron Karl Lud­wig von Ke­ver­berg (1768–1841), der zu dieser Zeit Unterpräfekt in Kleve war, erfuhr von der Heldentat der Johanna Sebus und berichtete darüber seiner vorgesetzten Behörde. Er bat außerdem um die Errichtung eines Denkmals, um "der Nach­welt von der ho­hen Tat der Johanna Sebus" zu erzählen. Dieses wurde 1811 errichtet und zerstörte Wohnhaus der Mutter auf Staatskosten saniert.

Neben dem offiziellen Bericht wandte sich Keverberg an Chris­tia­ne von Ver­ne­joul, die mit Goethe bekannt war, und bat sie, seinen Bericht über das tragische Ende der jungen Frau an diesen weiterzureichen, um die Heldentat literarisch zu bearbeiten.

Goethe war vom Schicksal der jungen Bäuerin angetan und verfasste am 11. und 12. Mai des Jahres 1809 die Bal­la­de Jo­han­na Se­bus. Außerdem schickte er einen Entwurf der Ballade an Carl Fried­rich Zel­ter, einem Komponisten, Dirigenten und Freund Goethes, und bat ihn, das Werk um Johanna Sebus zu vertonen.

Zelter, der bereits Goethes Erlkönig vertont hatte, machte sich auch umgehend ans Werk, vollendete die Komposition allerdings erst Anfang des Jahres 1810. Zahlreiche Künstler setzten sich in Folge - nicht zuletzt wegen der bekannten Ballade - mit der Heldentat der jungen Johanna Sebus auseinander, weshalb diese auch heutzutage unvergessen und ihre Ballade oftmals Teil des Unterrichts ist.

Inhaltsangabe

Die Ballade Johanna Sebus wurde 1809 von Johann Wolfgang von Goethe verfasst. Der Text erzählt von der jungen Bäuerin Johanna Sebus, die bei einem Hochwasser in Brienen am Niederrhein ihr Leben ließ, als sie zuerst ihre Mutter aus der Flut rettete und dann einer Nachbarin sowie ihren Kindern zur Hilfe eilen wollte.

Als der Damm bricht und die Wassermassen die Felder fluten, trägt die junge Johanna ihre Mutter durch das steigende Wasser. Eine Nachbarin ruft ihr derweil zu, dass sie und ihre Kinder ebenfalls Hilfe benötigen. Johanna entgegnet, dass sie sich mit den Kindern und einer Ziege auf einen Hügel, den das Wasser noch nicht erreicht hat, in Sicherheit bringen und auf ihre Rückkehr warten sollen.

Nachdem sie die Mutter ans sichere Ufer gebracht hat, will sich Johanna erneut auf den Weg durch die Flut machen. Die Mutter fleht sie aufgrund der Gefahr an, zu bleiben, doch Johanna watet zurück durch das steigende Wasser, um die Anderen zu retten. Als sie den Hügel erreicht, wird die Strömung so stark, dass die Nachbarin mit ihren Kindern sowie Johanna mitgerissen werden und sterben.

Als die Wassermassen schließlich abfließen, trauern alle Menschen um den Verlust des jungen, edlen Mädchens, dessen Taten weitererzählt werden sollen.

Analyse

Gedichtart Ballade (Kunstballade)
Strophen & Verse Gliedert sich in 5 Vollstrophen. Jede Vollstrophe besteht aus einer Strophe und einem vorangestellten Zweizeiler (kursiv). Alle Strophen bestehen aus unterschiedlich vielen Verszeilen. Insgesamt liegen 48 Verse mit 320 Wörtern vor.
Versmaß
(Metrum)
kein regelmäßiges Versmaß
Reimschema Paarreim (aabb ...)
Letzte Aktualisierung 23. Mai 2024, 15:18 Uhr Monatliche Leser 62 ➘ Abnehmende Beliebtheit
Johanna Sebus von Johann Wolfgang von Goethe wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/goethe/johanna-sebus/