Die Wettersäule

eine Ballade von August Kopisch
  1. Vom Meere wirbelt´s auf wie Rauch,
  2. und aus der Wolke senkt sich auch
  3. der finstre Hang.
  4. Die Wettersäule stürmt ums Riff
  5. und faßt bereits des Helden Schiff:
  6. da trotzet Swend
  7. und ruft: »Ein Feenwirbelwind!«
  8. und wirft danach sein Messer geschwind –
  9. da tönt ein Schrei!
  10. Da faßt das Wirbeln ihn allein, –
  11. die andern sollen gerettet sein; –
  12. er aber fliegt
  13. mit den wirbelnden Wassern ans End´ der Welt:
  14. auf öder Insel er niederfällt,
  15. da liegt er betäubt. –
  16. Und wie er aufs neu zum Leben erwacht,
  17. hell leuchtet´s um ihn mit Wunderpracht:
  18. auf blicket Swend –
  19. und sieht halbschwebend vor sich stehn
  20. die schönste der lichten Meeresfeen:
  21. die weinet sehr! –
  22. Durch Tränen blickt die holde Gestalt.
  23. Da ergreift ihn der Liebe Zaubergewalt;
  24. sie aber spricht:
  25. »Send Alf, zu Kühner, was hast du getan?
  26. sieh meine Seite, die blutet, an!« –
  27. Da schreit er auf
  28. und windet zu Füßen ihr sich in Schmerz
  29. und ruft: »Das traf mein eigen Herz,
  30. süßholde Frau!
  31. Wie soll ich sühnen, was ich gefehlt?«
  32. Der kühne Swend liebt lieb-entseelt
  33. in tiefem Weh. –
  34. Die Huld der Fee nicht lange weilt:
  35. »Traf es dein Herz, so ist geheilt
  36. mein herbes Leid.
  37. Oh sieh, es schwindet der Wunde Spur
  38. und Schmerz wird süße Sehnsucht nur
  39. von Herz zu Herz.
  40. Sieh, blumigen Rasen schwellt zur Stund`
  41. des vormals dürren Eilands Grund
  42. und ladet zur Ruh –
  43. und laubige Schatten hüllen uns ein
  44. zu liebseligem Huldverein.«
  45. Da küßt sie ihn,
  46. da küßt er sie, schlingt liebewarm
  47. um die wonneschwere Gestalt den Arm,
  48. der kühne Swend.
  49. Rings dunkelt Nacht, – den Strand entlang
  50. tönt wallender Wogen Brautgesang
  51. und Kühlungen wehn;
  52. und Nachtigallen mit süßem Schall
  53. ziehn dichter im Wald allüberall
  54. das Liebesnetz.
  55. Allseelige Tage lebt der Held
  56. und entzückende Nächte, fern der Welt,
  57. der kühne Swend.
  58. Und jeder Wunsch wird ihm erfüllt,
  59. und jedes Sehnen scheint gestillt
  60. dem kühnen Swend.
  61. Sie reicht ihm die hehre Speise der Fein,
  62. sie selbst kredenzt ihm den Purpurwein
  63. im Kelch von Kristall.
  64. In prächtiger Grotte wohnt das Paar,
  65. umglüht von Gesteinen wunderbar,
  66. von Bernsteingold,
  67. von Muscheln, Korallen und Perlen licht!
  68. Allein die Ruhe behaget ihm nicht:
  69. er sehnt sich fort,
  70. säh lieber seiner Hütte Rauch
  71. und seine kühnen Genossen auch
  72. am Silter Strand.
  73. Und wie die Meerfei schlief einmal,
  74. er ihren Zaubergürtel stahl,
  75. der kühne Swend.
  76. Er dreht einen Ring – da fliegt er hoch,
  77. den zweiten – da fliegt er schneller noch
  78. ob Land und Meer.
  79. Er fliegt, wo er nur hin begehrt,
  80. und als er nah der Heimat fährt,
  81. da jauchzt er laut!
  82. Er hat die Türme schon erkannt
  83. und hört bereits die Stimmen am Land:
  84. laut bellt sein Hund! –
  85. Da dreht er vor Freude den dritten Ring;
  86. doch wunderbar es ihm erging –
  87. ihn hebt ein Sturm,
  88. der wirbelt tausend Meilen von dort
  89. besinnungsraubend den Kühnen fort,
  90. zurück, zurück.
  91. Er fliegt hoch über Land und Meer
  92. in Zauberkreisen wild umher
  93. zurück, zurück –
  94. zurück bis wieder zur Meeresfrau,
  95. schon sieht er den Strand, die Höhle genau:
  96. wild stürmt´s ihn hin.
  97. Und Blitze fliegen und Donner erschallt:
  98. die Frei reißt alles hinab mit Gewalt
  99. ins untre Meer.
  100. Swend kehrt nicht mehr zu der Menschen Land,
  101. und die Sonne wird ihm unbekannt:
  102. in blauer Nacht,
  103. hoch über ihm der Fische Heer,
  104. im wallenden, erdumdonnernden Meer
  105. wehklaget Swend.
  106. Gern säh er seiner Hütte Rauch
  107. und seine kühnen Genossen auch
  108. am Silter Strand! –
Die Wettersäule von August Kopisch wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/kopisch/die-wettersaeule/