Der Fischer

eine Ballade von Johann Wolfgang von Goethe
  1.      Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll,
  2. Ein Fischer saß daran,
  3. Sah nach dem Angel ruhevoll,
  4. Kühl bis an’s Herz hinan:
  5. Und wie er sitzt und wie er lauscht,
  6. Theilt sich die Fluth empor,
  7. Aus dem bewegten Wasser rauscht
  8. Ein feuchtes Weib hervor.
  9.      Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
  10. Was lockst du meine Brut
  11. Mit Menschenwitz und Menschenlist
  12. Hinauf in Todesgluth?
  13. Ach wüßtest du, wie’s Fischlein ist
  14. So wohlig auf dem Grund,
  15. Du stiegst herunter, wie du bist,
  16. Und würdest erst gesund.
  17.      Labt sich die liebe Sonne nicht,
  18. Der Mond sich nicht im Meer?
  19. Kehrt wellenathmend ihr Gesicht
  20. Nicht doppelt schöner her?
  21. Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
  22. Das feucht verklärte Blau?
  23. Lockt dich dein eigen Angesicht
  24. Nicht her in ew’gen Tau?
  25.      Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll,
  26. Netzt’ ihm den nackten Fuß,
  27. Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll,
  28. Wie bey der Liebsten Gruß.
  29. Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
  30. Da war’s um ihn geschehn:
  31. Halb zog sie ihn, halb sank er hin,
  32. Und ward nicht mehr gesehn.